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Digitaler Salon 2022/23

Radentscheide sind in den vergangenen Jahren in vielen Städten ein zentraler Treiber für den (Neu-)Start kommunaler Radverkehrsförderung gewesen. In Berlin wurde 2016 der erste Radentscheid begonnen – mittlerweile sind Initiativen dem Vorbild in über 50 weiteren Städten sowie auf Landesebene gefolgt. Das Thema des Digitalen Salons 2022/23 lautete daher: "Druck von der Straße - Kommunen und Zivilgesellschaft gemeinsam für mehr Radverkehr?!"

Zuletzt aktualisiert 22.6.2023

Zusammenfassung des Digitalen Salons 2022/23

Dem überwiegend erfolgreichen Prozess des Agenda-Setting folgen konflikthafte und langwierige Prozesse der Umsetzung. Darüber, wo und wie schnell die politisch beschlossenen Ziele realisiert werden können oder müssen, gibt es wiederkehrenden Dissens zwischen Kommunalpolitik und -verwaltung auf der einen Seite und ungeduldigen Initiativen und Verbänden auf der anderen Seite. Dabei gibt es neben diesen offensichtlichen Konfliktlinien auch Ansätze für mehr Kooperation zwischen Verwaltungen und ehrenamtlich Engagierten.

Vor diesem Hintergrund kamen Vertreterinnen und Vertreter aus Kommunalpolitik und -verwaltung, Kommunikationsprofis sowie Repräsentantinnen und Repräsentanten von Verkehrsverbänden und Radentscheid-Initiativen beim Digitalen Salon 2022/2023 zusammen. Unter dem Titel „Druck von der Straße – Kommunen und Zivilgesellschaft gemeinsam für mehr Radverkehr“ diskutierten die Teilnehmenden bei drei Terminen die verschiedenen Perspektiven auf folgende Frage: „Wie können Kommunen und zivilgesellschaftliche Initiativen erfolgreich für mehr Radverkehr zusammenarbeiten?“

Der Digitale Salon ist als vertrauensvolles Austauschformat im digitalen Raum konzipiert. So können auch schwierige Dinge offen angesprochen werden. Der Teilnehmendenkreis bleibt über die Termine hinweg konstant, um trotz des digitalen Formats Vertrauen und eine persönliche Ebene zu schaffen. Die Termine fanden am 8.12.2022, 2.3.2023 und 27.4.2023 jeweils von 14:30 bis 17:00 Uhr statt.

Im Folgenden sind die zentralen Diskussionspunkte aufgeführt. Zuvorderst drehten sich die Diskussionen um lösungsorientierte Kommunikationswege zwischen Politik, Initiativen und Verwaltung sowie Unterstützungsmöglichkeiten durch Initiativen für die tägliche Umsetzungspraxis von Kommunalverwaltungen.

Zahlreiche Radfahrende auf einer zweispurigen Straße von hinten fotografiert, begleitet von Polizei auf Fahrrädern. Fahrrad-Demonstration
Fahrrad-Demonstration

Reden hilft! – Kluge Kommunikation als Grundvoraussetzung für den gemeinsamen Erfolg

Über die Art und Weise der Kommunikation zwischen Zivilgesellschaft und Verbänden auf der einen Seite und Kommunalpolitik und -verwaltung auf der anderen Seite kann viel im Zusammenspiel der unterschiedlichen „Seiten“ erreicht werden. Wertschätzend, zielgerichtet und vertrauensvoll sind drei Attribute, die die Basis guter Kommunikationsarbeit im Umsetzungsprozess bilden.

Initiativen sollten sich zudem bewusst sein, dass „Verwaltung“ nicht gleich „Verwaltung“ ist. Genau wie in der allgemeinen Öffentlichkeit gibt es je nach Verwaltung eher zugewandte, skeptische oder ablehnende Haltungen zur Radverkehrsförderung. Diese Differenzierung in der Ansprache und im Umgang mit den Menschen in der Verwaltung ist wichtig. Ähnlich wie ambitionierte Verwaltungsmitarbeitende, die teilweise Druck von beiden Seiten aushalten müssen, wird auch die Rolle von Ehrenamtlichen oftmals als ambivalent beschrieben. Es ist nicht leicht, die Balance zwischen vertrauensvoller, pragmatischer Zusammenarbeit mit der Verwaltung und gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Drucks zu finden.

Rückenwind nutzen, um Gegenwind auszuhalten

Nach dem Radentscheid ist vor der Umsetzung – und mit diesem Schritt sind Konflikte unausweichlich. Kompromisse und Abwägungen gehören auch bei der Umsetzung der ambitionierten Radförderungsziele zum Verwaltungshandeln. Gleichzeitig wollen Initiativen ihre Ziele nicht verwässert sehen – ein Spannungsfeld, das es auszutarieren gilt.

Kommunen können den Druck der Initiativen oft gut gebrauchen, um bei wegfallenden Kfz-Parkplätzen oder Fahrspuren eine progressiv-positive Stimme im Rücken zu haben. Schließlich können Initiativen anders auftreten, als es Verwaltungen tun können. Formelle und informelle Gesprächskanäle können zudem bei der Vorbereitung und Umsetzung von entsprechenden Maßnahmen genutzt werden. Auch konkrete Unterstützung in Form von Datenerhebungen, Planungshinweisen oder gar eine „Beschwerdeflut“ zu spezifischen Problemlagen können Rückenwind in der Planung und Argumentation für die Verwaltung bedeuten.

Auf Initiativen-Seite ist ebenfalls ein strategischer Umgang mit Druck- und Gegendruck wichtig. Es gilt zu reflektieren, an welchen Stellen ein „Aufschrei“ sinnvoll ist und wo nicht, auch wenn vereinbarte Ziele und Qualitäten nicht erreicht werden. Konkret bedeutet dies, auf Beteiligungs- und Informationsveranstaltungen eine positiv-unterstützende Stimme zu sein oder umgesetzte Maßnahmen auch zu „feiern“. Zudem sollte Kritik klar benannt werden und meist eher an die Politik denn an das Planungspersonal gerichtet sein.

Weitere Herausforderungen und Lösungen, um ein gutes Verhältnis und Zusammenarbeit zu etablieren

Wenngleich bürgerschaftliches Engagement für die Radverkehrsförderung nicht gänzlich neu ist, so hat die Vehemenz und politische Durchschlagskraft der Radentscheide eine neue Qualität bewiesen. Damit verbunden sind ganz verschiedene individuelle Herausforderungen für Verwaltung und Zivilgesellschaft sowie im Umgang miteinander:

  • Die Ziele können trotz der „Low Hanging Fruits“ in Quantität und Qualität kaum erreicht werden – Enttäuschungen und Frust sind meist auf beiden Seiten die Folge.
  • Sowohl für Initiativen als auch verwaltungsintern gilt: Die Radverkehrsförderung gerät immer wieder in Konflikt mit eigentlichen Synergiethemen wie der Förderung von ÖPNV und Fußverkehr sowie Natur- und Umweltschutz.
  • Planungsprozesse und Verwaltungsstrukturen sind trotz teils mehr Personals durch Radentscheide noch nicht optimal. Zudem mangelt es in Kommunalverwaltungen zum Teil an Offenheit für eine engere Zusammenarbeit mit Ehrenamtlichen.
  • Begrenzte ehrenamtliche Ressourcen erschweren eine konstante Zusammenarbeit.
  • Nach erfolgreichem Radentscheid wandelt sich die Gruppe der Ehrenamtlichen. Detailarbeit im Umsetzungsprozess spricht weniger/andere Menschen an.
  • Im ländlichen Raum gilt es, grundlegendes Wissen und Vernetzung zum Radverkehr aufzubauen. Schlagkräftige zivilgesellschaftliche Initiativen sind hier schwieriger zu etablieren.

Gleichzeitig hat der Digitale Salon auch gezeigt, welche Lösungsansätze es für eine erfolgreiche Zusammenarbeit gibt:

  • Der ADFC Bonn hat eine geförderte Personalstelle zur Koordinierung und Begleitung der Umsetzung des Radentscheids. Ihr Fokus liegt auf der Prozesssteuerung zwischen Stadtverwaltung und Ehrenamtlichen.
    Ähnliche Aufgaben übernimmt eine in der Stadtverwaltung Aachen verortete Radentscheidskoordinatorin.
  • Die Stadt Aachen kommuniziert transparent den Fortschritt zu Radentscheidmaßnahmen und setzt neben Infoveranstaltungen auch professionell produzierte Videos ein.
  • Für den ländlichen Raum hat der ADFC Sachsen eine Referent*innen-Stelle geschaffen, um ehrenamtliches Engagement für mehr Radverkehrsförderung auch dort zu unterstützen.
  • Der Radentscheid und die Landeshauptstadt München haben über verschiede formelle Austauschgremien sowie durch informelle Kommunikationskanäle eine gute Zusammenarbeit etabliert.