Forschungsbeobachtung: Intermodale Lösungen unter Berücksichtigung des ÖPNV
Themenfokus "Intermodalität" - Aktuelle Forschungen zu intermodalen WegekettenDatum 7.3.2024
In der Mobilitätsforschung gilt die Förderung intermodaler Wegeketten als ein Schlüsselfaktor, um die negativen Auswirkungen des motorisierten Individualverkehrs (MIV) auf den Stadtraum und die Bewohnerinnen und Bewohner zu reduzieren. Wie der hohe Flächen- und Ressourcenverbrauch des MIV, wie Schadstoffbelastungen durch den Straßenverkehr, Unfälle sowie Lärmemissionen und damit verbundene Gesundheitsrisiken minimiert werden können, ist seit Jahrzehnten Gegenstand wissenschaftlicher Forschung.
Insbesondere der Kombination von Fahrrad und ÖPNV wird hierbei großes Potential zugesprochen. Sowohl für den Weg zur Haltestelle als auch von der Haltestelle zum Zielort kann das Fahrrad eine flexible und kostengünstige Möglichkeit darstellen, um längere Distanzen in kurzer Zeit zu überwinden.
Auf welche Weise durch die Stärkung des Radverkehrs die Anbindung an den ÖPNV und die Konnektivität zwischen verschiedenen Verkehrsträgern für viele Nutzende verbessert werden kann, wird in aktuellen Forschungsarbeiten untersucht.
Die folgende Forschungsbeobachtung ordnet die aktuellen Diskussionen zu den Potentialen intermodaler Verknüpfungen von Rad und ÖPNV auch international ein.
Radabstellanlagen – Planung und Anforderungen
Ob die Potentiale intermodaler Wegeketten von Fahrrad und ÖPNV gehoben werden können, hängt (auch) davon ab, wie gut die beiden Verkehrsträger in das Mobilitätsangebot integriert sind. In einem Artikel in der Zeitschrift Transport Policy widmen sich drei Forschende des schwedischen Mobilitäts-forschungszentrums K2 der integrierten Planung von Radabstellanlagen an Haltestellen des ÖPNV in Kopenhagen.
Auf der Basis von Interviews mit Stakeholdern identifizieren Cannon et al. (2024) 1 drei wesentliche Hindernisse, die der Verbesserung von Radabstellanlagen an Haltestellen des ÖPNV in Kopenhagen entgegenstehen:
- Das Fahrradparken an Haltestellen fällt in den Zuständigkeitsbereich unterschiedlicher Institutionen und Verwaltungsebenen, die bisher nur unzureichend kooperieren.
- Es ist keine langfristige Finanzierungsregel etabliert, sodass die Finanzierung zum Teil für jedes Projekt neu verhandelt werden muss.
- Flächennutzungskonflikte: Der Platz, der für Radabstellanlagen benötigt wird, könnte auch anderweitig genutzt werden – etwa für den Bau von Wohnungen oder Bürogebäuden.
Es gilt demnach, so das Autorenteam, bessere Bedingungen für eine Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen zu schaffen und insbesondere die Aufgaben und Zuständigkeiten in Bezug auf Radabstellanlagen an Haltestellen des ÖPNV klarer zu definieren. Dies umfasst auch die Entwicklung eines systematischen Ansatzes für die Finanzierung entsprechender Projekte. Außerdem empfehlen Cannon et al. (2024), sich auf den Nutzen und Mehrwert verbesserter Radverkehrsanlagen für alle Verkehrsteilnehmenden zu fokussieren und gemeinsame, übergreifende Ziele zu formulieren. Auf diese Weise könnten intermodale Wegeketten besser gefördert werden. Radabstellanlagen würden so als wichtige Bestandteile des öffentlichen Verkehrs in intermodale Wegeketten integriert.
Die Bedeutung qualitativ hochwertiger und sicherer Radabstellanlagen für die Förderung intermodaler Wegeketten unterstreicht ein Artikel einer Gruppe kanadischer Mobilitätsforscherinnen und -forscher im International Journal of Sustainable Transportation. Fournier et al. (2023) 2 betonen, dass das Fehlen geeigneter Radabstellanlagen als Barriere sowohl für Radfahrende als auch für potentielle Radfahrende wirkt. Während unterschiedliche Radfahrende im Detail zwar unterschiedliche Ansprüche an Radabstellanlagen haben, ist für die von Fournier et al. (2023) befragten Personen in Montreal, Kanada, aber vor allem der kostenfreie beziehungsweise kostengünstige Zugang, ein sicherer und kontrollierter Zutritt sowie die Nähe zum Zielort ausschlaggebend für die Nutzung des Fahrrads. Radabstellanlagen, so die Schlussfolgerung des Autorenteams, sollten vor allem in der Nähe des Arbeitsortes und an Haltestellen des ÖPNV bereitgestellt werden.
Potentiale von Bike-Sharing Angeboten zur Förderung intermodaler Wegeketten
Doch nicht nur der Ausbau von Radabstellanlagen kann die Verknüpfung von Fahrrad und ÖPNV stärken. Um intermodale Wegeketten unabhängig von einem eigenen Fahrrad zu ermöglichen, können Kommunen beispielsweise Bike-Sharing Angebote etablieren. Zu diesem Schluss kommen Forscherinnen und Forscher der Peking University und Southwest University. Fu et al. (2023) 3 arbeiten in ihrer Untersuchung heraus, dass eine sichere und komfortable Radverkehrsinfrastruktur Grundvoraussetzung ist, damit Bike-Sharing für den Weg von und zur Haltestelle genutzt wird. Auch Radfahrende, die ihr privates Fahrrad nutzen, formulieren laut Fu et al. (2023) die Forderung nach einer qualitativ hochwertigen Radverkehrsinfrastruktur.
Ob intermodale Verknüpfungen von Fahrrad und ÖPNV tatsächlich genutzt werden, hängt auch von der Kosten-Nutzen Bewertung der Verbindungen durch die Nutzenden ab. Damit Bike-Sharing Angebote als geeignete und komfortable Ergänzung zum ÖPNV wahrgenommen werden, dürften diese nicht zu teuer sein – zu diesem Ergebnis kommt eine in der Zeitschrift Research in Transportation Economics veröffentlichte Studie. In der Untersuchung von Montes et al. (2023) 4 zeigt sich, dass die finanziellen Kosten für die mit dem ÖPNV zurückgelegte Etappe bei der Bewertung der Gesamtkosten niedriger gewichtet werden als die Kosten für den Weg von oder zu der Haltestelle. Das heißt, Nutzende sind zwar bereit, für den ÖPNV Geld auszugeben, der Weg von und zur Haltestelle dagegen soll möglichst günstig sein. Ein weiteres Ergebnis der Studie: In Bezug auf die Reisezeit sind die Nutzenden bereit, auch längere Strecken zu oder von der Haltestelle mit dem Fahrrad bzw. Bike Sharing zurückzulegen, wenn sich hierdurch insgesamt die Reisezeit verkürzt.
Mikromobilität für die erste und letzte Meile
Auch durch die Förderung von Mikromobilität (E-Scooter und Pedelecs) auf der ersten und letzten Meile können Kommunen die Zugänglichkeit und Konnektivität des bestehenden öffentlichen Verkehrsnetzes erhöhen und so das (wahrgenommene) Erfordernis eines privaten Pkw verringern.
Das Potential von E-Scootern und Pedelecs für die Förderung intermodaler Wegeketten untersuchen Oeschger et al. (2023) 5, Mobilitätsforscher und Bauingenieurinnen am University College Dublin und Trinity College Dublin. Ziel des Autorenteams ist es herauszustellen, wie E-Scooter und Pedelecs, das heißt Kleinstfahrzeuge, die mit dem Begriff der Mikromobilität zusammengefasst werden, miteinander und mit dem zu Fuß gehen im Kontext der ersten und letzten Meile konkurrieren. Im Ergebnis zeigt sich, dass vor allem männliche Befragte unter 35 Jahren eine starke Präferenz für Mikromobilität aufweisen, während Personen über 35 Jahre und weibliche Befragte das Gehen bevorzugen. Ähnliche Profile der Nutzenden halten auch Montes et al. (2023) für Bike-Sharing Angebote fest. Menschen, die häufig den ÖPNV nutzen, nutzen tendenziell auch häufiger Bike-Sharing Angebote. In der Untersuchung der irischen Forscherinnen wird das zu Fuß gehen von den meisten Befragten für die erste und die letzte Meile bevorzugt, auch wenn andere Optionen, E-Scooter und Pedelec, zur Verfügung stehen und eine erhebliche Verkürzung der Reisezeit böten. Auf die Gründe wird in der Untersuchung nicht näher eingegangen. Dieses Ergebnis wird von Montes et al. (2023) in Bezug auf Bike-Sharing Angebote bestätigt.
Das Fazit der Studie lautet: Voraussetzung für die Nutzung von E-Scootern und Pedelecs sind ein nahtloser Übergang zwischen den Verkehrsträgern sowie eine adäquate Infrastruktur. Dies sei besonders vor dem Hintergrund relevant, Mikromobilität integriert mit ÖPNV als Alternative zum Pkw zu fördern und Autofahrende entsprechend zum Umstieg zu motivieren.
Das Fahrrad als Teil der intermodalen Wegekette
Die Herausforderungen, denen Nutzende beim Umstieg auf intermodale Verbindungen in Abhängigkeit von ihrem Wohnort (städtisch, peri-urban, ländlich) begegnen, untersucht der britische Mobilitätsforscher Rich McIlroy (2023) 6. Hierbei zeigt sich, dass Bewohnerinnen und Bewohner des städtischen, peri-urbanen und ländlichen Raums intermodale Verbindungen eher negativ bewerten und die gleichen Herausforderungen in Bezug auf intermodale Verbindungen identifizieren: Der mit der Fahrt und dem Umsteigen verbundene Zeitaufwand im Vergleich zur Fahrt mit dem privaten Pkw, die fehlende Konnektivität sowie zu geringe Taktung der Fahrpläne, die Unzuverlässigkeit und hierdurch bedingte geringere zeitliche Planungssicherheit (zum Beispiel aufgrund von Ausfällen oder Verspätungen) sowie undurchsichtige und nicht integrierte Ticketsysteme beim Umstieg zwischen unterschiedlichen Verkehrsträgern des ÖV werden von den Befragten als zentrale Hindernisse genannt. Für Bewohnerinnen und Bewohner des ländlichen Raums stellt außerdem die Erreichbarkeit und Verknüpfung der unterschiedlichen Verkehrsträger eine Barriere dar. Für Bewohnerinnen und Bewohner des städtischen Raums werde die höhere Komplexität der Planung einer intermodalen Verbindung zur Barriere ebenso wie unzureichende Einrichtungen an Bahnhöfen und Haltestellen, mithin deren niedrige Aufenthaltsqualität. Diese Barrieren verstärken sich in der Wahrnehmung der Befragten, je mehr öffentliche Verkehrsträger genutzt werden. Kurz gesagt: Je mehr Umstiege bewältigt werden müssen, umso einfacher und niedrigschwelliger müssen diese gestaltet werden, damit sie von den Nutzenden in Kauf genommen werden.
McIlroy (2023) bewertet den Einbezug des Fahrrads in die intermodale Wegekette positiv, sofern die entsprechende Infrastruktur, wie beispielsweise Radabstellanlagen, vorhanden ist. Denn der Umstieg auf das (eigene) Fahrrad wird von den Nutzenden als selbst planbar und flexibel wahrgenommen. Auch Montes et al. (2023) stellen heraus, dass die Zufriedenheit mit öffentlichen Verkehrsmitteln durch die Ausgestaltung der gesamten Wegekette bedingt ist. Die Flexibilität und Planbarkeit des Fahrrads wirkt sich umgekehrt auch positiv auf die Bewertung des ÖPNV aus. Der Ausbau der Radverkehrsinfrastruktur sowie die Möglichkeit, Fahrräder im ÖPNV mitzuführen oder an der Haltestelle sicher abzustellen, unterstützt, so die Autorinnen und Autoren aller Studien, nicht nur den Radverkehr, sondern stärkt die Akzeptanz entlang der gesamten intermodalen Wegekette.
(Autor: Deutsches Institut für Urbanistik - DifU)
Literaturverzeichnis
1 Cannon, Russell; Zhao, Chunli; Winslott Hiselius, Lena (2024): Barriers to better bicycle parking for pro-moting intermodal journeys: An inter-organisational collaboration perspective. In: Transport Policy 145 (January), S. 65–73.
2 Fournier, Juliette; van Liefferinge, Mathilde; Ravensbergen, Léa; DeWeese, James; El-Geneidy, Ahmed (2023): Evaluating the need for secured bicycle parking across cyclist typologies. In: International Jour-nal of Sustainable Transportation.
3 Fu, Chen; Huang, Zhou; Scheuer, Bronte; Lin, Jiayuan; Zhang, Yi (2023): Integration of dockless bike-sharing and metro: Prediction and explanation at origin-destination level. In: Sustainable Cities and So-ciety 99, S. 104906.
4 Montes, Alejandro; Geržinic, Nejc; Veeneman, Wijnand; van Oort, Niels; Hoogendoorn, Serge (2023): Shared micromobility and public transport integration - A mode choice study using stated preference data. In: Research in Transportation Economics 99, Artikel 101302.
5 Oeschger, Giulia; Caulfield, Brian; Carroll, Páraic (2023): Investigating the role of micromobility for first- and last-mile connections to public transport. In: Journal of Cycling and Micromobility Research, Artikel 100001.
6 McIlroy, Rich C. (2023): “This is where public transport falls down”: Place based perspectives of multi-modal travel. In: Transportation Research Part F: Traffic Psychology and Behaviour 98, S. 29–46.
Themenkarte zu Intermodalität
Auf unserer aktuellen Themenkarte finden Sie eine Auswahl an Projektbeispielen zu Intermodalität unter Berücksichtigung des ÖPNV in Deutschland.