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Projekt "NaMikro": E-Bikes und E-Scooter als Erweiterung des ÖPNV am Stadtrand von Großstädten und in Kleinstädten

Themenfokus "Intermodalität" - Fachbeitrag der TH Wildau

Datum 9.4.2024

Sharing-Angebote von E-Scootern (E-Tretroller) und E-Bikes sind bisher vorwiegend in innerstädtischen Bereichen zu finden, drängen jedoch sukzessive auch in großstädtische Außenbezirke und Kleinstädte. Wie solche Angebote am Stadtrand als Erweiterung des ÖPNV genutzt werden können, hat die Stiftungsprofessur „Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen“ an der Technischen Hochschule Wildau gemeinsam mit einem Mobilitätsdienstleister untersucht. Das Projekt "NahMikro" stellt die TH Wildau im folgenden Fachbeitrag vor.

Auf einer Straße stehen von links nach rechts ein grüner E-Roller zwei grüne E-Bikes. Diese werden durch gelbe Farb-Markierungen umrandet. Im Hintergrund steht hinter einer grünen Hecke ein alleinstehendes Wohnhaus. Örtlich markierte Stationsfläche im untersuchten Geschäftsgebiet in Erkner

Hintergrund des Forschungsprojekts NaMikro

Seit der Zulassung von E-Scootern (E-Tretroller) im Jahr 2019 hat sich in Deutschland ein dynamischer Markt für Sharing-Angebote im Bereich Mikromobilität entwickelt. Eine grundlegende wissenschaftliche Begleitung dieser Aktivitäten lag bisher nicht vor. Die Mobilitätsangebote, die neben E-Scootern zum Teil auch E-Bikes umfassen, wurden zuletzt von einigen Anbietern auch auf Kleinstädte ausgerollt.

Im Zuge dessen hat der Sharing-Anbieter Bolt gemeinsam mit der BMDV-Stiftungsprofessur für Radverkehr das Projekt „Nachhaltige Mikromobilität“ (NaMikro) ins Leben gerufen. In Anbetracht der von der Berliner Senatsverwaltung formulierten perspektivischen Zielsetzung, Sharing-Angebote in Gebiete außerhalb des S-Bahnrings zu verlagern1, wurden für das Projektvorhaben am Stadtrand Berlins Untersuchungsgebiete identifiziert. Dafür wurden in den Berliner Bezirken Steglitz-Zehlendorf und Tempelhof-Schöneberg sowie in der Kleinstadt Erkner neue Geschäftsgebiete als Reallabor geschaffen, die vom Projektpartner Bolt operativ betrieben wurden. Unter einem Reallabor versteht man einen zeitlich und oft räumlich oder sachlich begrenzten Testraum, in dem innovative Technologien oder Geschäftsmodelle unter realen Bedingungen erprobt werden (vgl. BMWK - FAQ). Gemäß der regionalstatistischen Raumtypologie für die Mobilitäts- und Verkehrsforschung (RegioStaR) des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr (BMDV) sind die Stadt Erkner als „Städtischer Raum einer Metropolitanen Stadtregion“ und die Reallabore in Berlin als „Metropole“ einzuordnen.2

Eine Landkarte zeigt die Umrisse von Berlin und dem Umland. Untersuchte Flächen sind in unterschiedlichen Farben wie rot, grün und orange markiert. Oben rechts befindet sich die Legende zur Karte. Lage der untersuchten Reallabore in und um Berlin

Der zentrale Untersuchungsgegenstand des Projekts war, die Verknüpfung von Sharing-Angeboten mit dem ÖPNV in Gebieten mit schwächerer ÖPNV-Infrastruktur (im Vergleich zum innerstädtischen ÖPNV-Angebot) zu analysieren. Hierzu wurden die drei Reallabore eingerichtet, um unter praxisähnlichen Bedingungen zu testen, inwiefern ein Sharing-Angebot als Ergänzung und Zubringer zum örtlichen ÖPNV genutzt werden kann. Dafür wurden in den drei oben genannten Reallaboren jeweils unterschiedliche Preis- und Stationssysteme eingeführt. Außerdem bestanden die eingesetzten Fahrzeugflotten je zur Hälfte aus E-Scootern und E-Bikes, um die Fahrzeugpräferenzen der Nutzenden untersuchen zu können. Die Reallabore wurden von Juli 2022 bis Mai 2023 eingerichtet.
Nach Beendigung der Reallabore wurden die Nutzungsdaten aus den drei Untersuchungsgebieten ausgewertet. Ergänzend wurden die Nutzenden des Angebots zu verschiedenen Themen, wie der Zweckmäßigkeit der jeweils vorliegenden Stationssysteme, befragt. Außerdem wurden Interviews mit relevanten Akteurinnen und Akteuren von Sharing-Anbietern sowie mit Verantwortlichen aus Politik und Verwaltung durchgeführt, vorrangig mit Personen aus den beteiligten Projektbezirken und -städten. Zur Bewertung der Funktionsweise der verschiedenen Stationssysteme wurden Parkverstöße in den jeweiligen Untersuchungsgebieten erhoben. Grundlage dafür bildete die beim Abstellen der Fahrzeuge in Berlin einzuhaltende Restgehwegbreite von 2,30 Meter.

Verknüpfung des Sharing-Angebots mit dem ÖPNV in allen Reallaboren deutlich erkennbar

Die Auswertung der Nutzungsdaten der Sharing-Angebote in den drei Untersuchungsgebieten zeigt, dass die lokalen S-Bahnhöfe am stärksten frequentiert wurden. Sowohl in den stationsgebundenen Systemen als auch im Free-Floating-System (d.h. dass Fahrzeuge an jedem Ort, mit Ausnahme von Parkverbotszonen, innerhalb des Bedienungsgebiets ausgeliehen bzw. abgestellt werden können) wurde das Sharing-Angebot demnach genutzt, um die letzte Meile vom bzw. zum S-Bahnhof zu überwinden. In den stationsgebundenen Systemen endete während des Untersuchungszeitraums jede vierte bis fünfte Fahrt an den S-Bahnhöfen. Der Einsatz monetärer Anreize war nicht erfolgreich, um die Menschen dazu zu incentivieren, das Sharing-Angebot noch intensiver in Verbindung mit der S-Bahn zu nutzen. Dies kann mit der ohnehin bereits vorhandenen hohen Frequentierung der S-Bahnhöfe erklärt werden.

Vor dem gelben Bahnhofsgebäude des Bahnhofs Erkner stehen vier grüne E-Roller und ein grünes E-Bike, umrandet von einer gelben Farb-Markierung. Vor dem Gebäude stehen geparkte Autos sowie eine Bahnhofsuhr und Menschen. Station am S-Bahnhof Erkner

Die Befragung der Nutzenden ergab, dass das Sharing-Angebot neben der Zubringerfunktion zum S-Bahnhof auch als Ergänzung zum ÖPNV genutzt wird. Dies ist insbesondere in Randzeiten des Betriebs des ÖPNV zu beobachten. Entsprechend wurde das Sharing-Angebot insbesondere in den Abendstunden bzw. frühen Morgenstunden als Alternative genutzt, wenn lokale Buslinien nicht mehr bzw. noch nicht verkehren. Aus weiteren von den Nutzenden geäußerten Vorteilen des Sharing-Angebots gegenüber dem Bus lässt sich ableiten, dass dieses Angebot von bestimmten Nutzenden als flexibles und zuverlässiges Mobilitätsangebot wahrgenommen wird. Es wird u.a. a. genutzt, um auf Verspätungen oder Ausfälle eines Busses reagieren zu können.

Die Wegezwecke sind in allen Reallaboren ähnlich verteilt. Es zeigt sich, dass die Sharing-Fahrzeuge am häufigsten genutzt werden, um zur Arbeit zu fahren, nach Hause zu kommen und für den Weg zu Freizeitaktivitäten.
Zudem deutete sich im Projekt ein mögliches Potenzial ab, dass Nutzende auf kurzen Strecken die Sharing-Fahrzeuge anstelle eines Pkw nutzen. 60 bis 70 Prozent der Befragten haben das Sharing-Angebot als Alternative zu ihrem privaten Pkw in Anspruch genommen, wovon wiederum 25 Prozent dies mindestens einmal pro Woche taten. Außerdem können längere Pkw-Fahrten durch die intermodale Kombination des Sharing-Systems mit dem ÖPNV substituiert werden.

Stationssystem aus Nutzerperspektive und für Akzeptanz am geeignetsten

Im Projekt hat sich gezeigt, dass ein stationsgebundenes System bei Berücksichtigung der Ansprüche und Interessen aller betroffenen Akteurinnen und Akteure das zielführendste Stationskonzept darstellt, um die Anwendungsfreundlichkeit gewährleisten zu können und Konflikte im öffentlichen Raum zu minimieren. Es lässt dabei noch zwischen virtuellen, und örtlich markierten Stationsflächen unterscheiden. Virtuelle Stationen sind feste Abgabeorte, die sich dadurch auszeichnen, dass sie mittels Geofencing eingegrenzt werden und ausschließlich digital in der App angezeigt werden. Eine dazugehörige Kennzeichnung auf der Straße oder dem Gehweg ist nicht vorhanden. Die Nutzung von virtuellen Stationen hat sich als zu anfällig für hinderlich abgestellte Fahrzeuge herausgestellt. In diesem wurden ähnlich viele Parkverstöße festgestellt wie im Free-Floating-System. Im Vergleich dazu hat sich das in Erkner erprobte Stationssystem mit örtlich angebrachten gelben Markierungen als robust in Hinblick auf hinderlich abgestellte Fahrzeuge erwiesen. Über die im Projektrahmen untersuchte gelbe Markierung hinaus bietet es sich an, Stationsflächen mit zusätzlichen Elementen wie Schildern und Informationssäulen zu ergänzen. Hierdurch wird die Sichtbarkeit erhöht und der Nutzungszweck der eingerichteten Fläche deutlicher für alle Verkehrsteilnehmenden. Als Best-Practice-Beispiel können hierfür die Jelbi Mobilitätsstationen in Berlin genannt werden.3

Zukünftige Aufgaben für eine dauerhafte Nutzung von Sharing-Angeboten in Kleinstädten

Für die Etablierung von Sharing-Angeboten im nicht-urbanen Umfeld sind verschiedene Fragen zu klären und Handlungsbedarfe abzuleiten, die lokal sehr unterschiedlich ausfallen können. Für den längerfristigen Einsatz der Sharing-Angebote ist aus privatwirtschaftlicher Perspektive in erster Linie zu klären, ob sich ein Angebot in einem vergleichsweise peripher gelegenen Geschäftsgebiet wirtschaftlich trägt. Im Zweifelsfall besteht hier die Notwendigkeit für die zuständige Kommune, das Angebot finanziell zu unterstützen, respektive auf Sondernutzungsgebühren zu verzichten.

Im Projekt konnte ein Zusammenhang zwischen Bevölkerungsdichte und Nutzungsdichte des Sharing-Angebots festgestellt werden. Je höher die Bevölkerungsdichte war, umso höher ist die flächenbezogene Nutzung ausgefallen. Entsprechend können in weniger besiedelten Gebieten finanzielle Defizite durch die dortige Bereitstellung des Angebots entstehen. Außerdem beeinflusst die Lage des Geschäftsgebiets und der daraus folgenden Nähe bzw. Distanz zum Lager des Anbieters die Wirtschaftlichkeit des Angebots. Hier gilt es zukünftig für Kommunen und Anbieter, innovative Lösungen zu finden, um einen Betrieb auch in weiter entfernteren Geschäftsgebieten wirtschaftlicher betreiben zu können, z. B. durch die Implementierung eines lokalen Mikro-Lagers.

Auf einer Straße stehen zwei grüne E-Bikes, die links und rechts von je einer rot-weiß gestreiften Bake eingegrenzt und einer gelben-Farb-Markierung umrandet werden. Im Hintergrund sieht man links geparkte Autos und rechts ein Autohaus sowie grüne Bäume. Mit Baken eingrenzte Stationsfläche in Erkner zum Schutz vor Fremdnutzung durch Kfz

Es ist empfehlenswert, dass sich beteiligte Kommunen ein eigenständiges Bild vom örtlichen Sharing-Angebot machen, um diese ggf. in das kommunale Verkehrsangebot integrieren zu können. Mithilfe von Mobilitätsdashboards von neutralen Drittanbietern kann eine Datenschnittstelle zwischen Anbietern und Kommunalverwaltungen geschaffen werden. Damit können ausgewählte Live-Daten des Sharing-Systems des jeweiligen Anbieters eingesehen werden, wie beispielsweise der Standort der Fahrzeuge.

Sowohl aus der Perspektive der Nutzenden als auch für eine hohe Akzeptanz des Angebots unter den weiteren Verkehrsteilnehmenden empfiehlt sich die Einrichtung eines stationsgebundenen Systems mit Stationsflächen in regelmäßigen Abständen (ca. alle 200 Meter). Als Praxisbeispiel hierfür kann das Stationskonzept in der Münchner Innenstadt genannt werden.4 Die Stationen sollten mittelfristig möglichst baulich verstetigt werden bzw. zumindest baulich eingegrenzt werden, beispielsweise mit Baken. Eine bauliche Eingrenzung erfüllt den Zweck, dass damit die Fremdnutzung der Stationsflächen durch andere Fahrzeuge, wie Pkw, verhindert werden kann. Zusätzlich sollte trotz der im Projekt festgestellten Tendenz der meisten Nutzenden zur Nutzung von E-Scootern auch weiterhin auf gemischte Fahrzeugflotten gesetzt werden, um verschiedene Nutzungsgruppen mit dem Angebot ansprechen zu können.

(Autor: Nicolas Schüte, Wissenschaftlicher Mitarbeiter, Stiftungsprofessur Radverkehr in intermodalen Verkehrsnetzen, Fachbereich Ingenieur- u. Naturwissenschaften, Technische Hochschule Wildau)

Quellen

1 vgl. Senatsverwaltung konkretisiert Regelungen für Berlins Sharing-Mobility
2 vgl. RegioStaR - Referenzdateien zur regionalstatistischen Raumtypologie
3 vgl. Jelbi-Stationen der BVG
4 vgl. Beschluss des Münchner Stadtrats: Regionales Bikesharing-System und mehr Abstellflächen für Mikromobilität

Über die Stiftungsprofessuren

Mit den Stiftungsprofessuren etabliert und stärkt das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) die interdisziplinäre Forschung und Lehre zum Radverkehr und zur nachhaltigen Mobilität. Die Professuren forschen und lehren zu Radverkehrsaspekten wie der Verkehrsplanung, Verkehrssicherheit oder der Logistik. Die Förderung der Professuren soll zudem die dringend benötigte Fachkompetenz für die Mobilität von morgen adressieren und den darin bestehenden Fachkräftemangel auflösen.

Die TH Wildau zählt zu einer der sieben geförderten Stiftungsprofessuren in Deutschland.
Weitere Informationen zu den Profilen und Schwerpunkten der Hochschulen und den Professorinnen und Professoren finden Sie auf unserer Webseite unter dem Bereich "Fortbildungen".

Themenkarte zu Intermodalität

Grafik zeigt Deutschlandkarte mit Pins, die zu verschiedenen Beispielen für Intermodalität führen. Aktueller Fokus: Intermodalität und ÖPNV
Themenkarte mit Beispiel-Projekten zu Intermodalität und ÖPNV.

Auf unserer aktuellen Themenkarte finden Sie eine Auswahl an Projektbeispielen zu Intermodalität unter Berücksichtigung des ÖPNV in Deutschland.