Sicher geradeaus! Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz
Abbiegekonflikte im Fokus1.9.2013 - 1.12.2013
Berlin
30.11.2013
Abbiegekonflikte als häufige Unfallursache bei Radverkehrsunfällen
Die Unfallstatistiken zeigen es jedes Jahr aufs Neue: Unfälle mit Radfahrerbeteiligung ereignen sich vergleichsweise häufig, wobei es insbesondere während des Abbiegens von Kfz zu Konfliktsituationen und Unfällen mit leichten bis tödlichen Folgen für die beteiligten Radfahrenden kommt. Vor allem Unfälle mit abbiegenden Kraft- bzw. Nutzfahrzeugen und beteiligtem Radverkehr stehen aufgrund ihrer Unfallschwere immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit.
Die Verringerung, im besten Fall die gänzliche Vermeidung solcher Unfallsituationen zwischen Kfz und schwächeren Verkehrsteilnehmern wie beispielsweise Radfahrenden stellt eine große Herausforderung im Bereich der Verkehrssicherheit dar. Der Trend der zunehmenden Fahrradnutzung in Städten untersetzt die Handlungsnotwendigkeit an dieser Stelle.
Vor diesem Hintergrund entstand die Idee einen umsetzungs- und maßnahmenbezogenen Leitfaden für Politik und Planung, insbesondere jedoch für kommunale Akteure, zu entwickeln. Dieser befasst sich konkret mit Abbiegekonflikten und diesbezüglich zielführend zu ergreifenden Maßnahmen, wobei zusätzlich die besondere Abbiegeproblematik zwischen Radfahrenden und Lkws (kleiner und großer Nutzfahrzeuge) berücksichtigt wird. Die Erarbeitung wurde durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur mit Mitteln zur Umsetzung des des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) gefördert.
Problemorientierter Leitfaden für Verwaltung, Politik und Planung
Gerade für kommunale Akteure fehlt bisher eine praxistaugliche Aufarbeitung, welche eine Bewertung der Maßnahmen unter Berücksichtigung der lokalen Gegebenheiten ermöglicht und Ansätze für eine Priorisierung von Maßnahmen für eine Kommune bereitstellt. Der Leitfaden "Sicher geradeaus!" soll dieses Wissensdefizit beheben und schnürt ein konkretes Maßnahmenpaket. Er widmet sich primär dem Konflikt zwischen geradeausfahrenden Radfahrenden und rechts- bzw. linksabbiegenden Kfz und ist vor allem auf innerörtliche Situationen ausgerichtet, wo dieser Konflikt besondere Bedeutung besitzt. Er zeigt Maßnahmen und Aktivitäten mit Schwerpunkt auf den Handlungsfeldern Infrastruktur und Kommunikation auf, die geeignet sind, diesen Konflikt zu entschärfen und damit die Sicherheit beim Radfahren zu erhöhen. Mit Blick auf den Hauptadressatenkreis der kommunalen Akteure verfolgt der Leitfaden das Ziel einer umsetzungsorientierten Aufbereitung der Maßnahmen.
So werden Maßnahmen steckbriefartig aufbereitet und verschiedenen Knotenpunkt-Grundformen (unterschieden nach Art der Signalisierung, Radverkehrsführung, Größe der Knotenpunkte) zugeordnet. Überdies werden über die funktionale Maßnahmenbeschreibung hinaus auch weitere Hinweise zu den belegbaren Wirkungen, möglichen Umsetzungshemmnissen und zum Kostenaufwand gegeben. Dies ermöglicht den Anwendern aus kommunaler Praxis eine schnelle Prüfung der Einsatzbereiche und Bündelung einzelner Maßnahmen sowie der Übertragbarkeit in Hinblick auf die ortsspezifische Problem- und Ausgangssituation.
Der Leitfaden ist als Ergebnis eines Prozesses unter Beteiligung verschiedener Akteure u.a. aus Verkehrsplanung, Unfallforschung, Polizei, kommunaler Verkehrssicherheitsarbeit zu sehen und wurde in verschiedenen Arbeitspaketen erarbeitet:
- Breit angelegte Recherche und Analyse von Erkenntnissen und Praxiserfahrungen zu Unfallursachen und sicherheitsfördernden Maßnahmen (Auswertung Fachliteratur des In- und Auslands, fachlicher Austausch mit Experten aus Forschung und Praxis sowie zahlreichen Städten).
- Durchführung eines internetbasierten Bürgerbeteiligungsverfahrens im Dezember 2013, Online-Dialog "Radfahren in Berlin - Abbiegen? Achtung! Sicher über die Kreuzung" zur methodischen Erprobung und Demonstration von Bürgerpartizipation in der Radverkehrssicherheit, fließt als Maßnahme der Öffentlichkeitsarbeit für mehr Radverkehrssicherheit in den Leitfaden ein.
- Expertenworkshop im November 2013, Diskussion, Bewertung und ggf. Ergänzung der Ergebnisse aus den vorangegangenen Arbeitspaketen im Kreise von ca. 40 Fachleuten u.a. von Verkehrsverbänden, Polizei, Verkehrsgewerbe, Kommunen.
Für die Realisierung der Arbeitspakete wurde durch die zuständige Senatsverwaltung die Unterstützung der Planungsgemeinschaft Verkehr PGV-Alrutz aus Hannover sowie des Planungsbüros plan & rat aus Braunschweig eingeholt (AP 1 und 3). Das Beteiligungsverfahren (AP 2) wurde durch das auf dem Gebiet der Online-Partizipation erfahrene Unternehmen Zebralog GmbH & Co KG durchgeführt.
Bürgerbeteiligung als ein "Baustein" für mehr Radverkehrssicherheit
Bei der Ausgestaltung eines (auch gefühlt) sicheren Radverkehrs kommt der Öffentlichkeit eine besondere Bedeutung zu: Die Bürgerinnen und Bürger kennen ihre Stadt gut und können deshalb dazu beitragen, dass mit ihrem Wissen die Gegebenheiten im Wohnumfeld und auf bekannten Wegebeziehungen so gut wie möglich gestaltet werden. Diese für die Fachplanung "neue" Perspektive aus Sicht der Alltagsmobilität zu erfassen und in der Planung bzw. Gestaltung der Infrastruktur zu berücksichtigen, ist bisher kaum methodisch etabliert. Das Bürgerbeteiligungsvorhaben "Abbiegen? Achtung! Sicher über die Kreuzung" setzt hier an und prüft exemplarisch für das Fallbeispiel Berlin Möglichkeiten, Grenzen und Nutzen von Bürgerbeteiligung in der Verkehrsplanung. Der Dialogprozess war ein neuer Ansatz und hinsichtlich der Beteiligung und der Qualität der Bürgerhinweise ein großer Erfolg (mehr als 8.000 Vorschläge und Kommentare). Dies gilt insbesondere auch durch den erzielten Austausch zwischen den am Dialog Teilnehmenden und den methodischen Erkenntnissen zu bestehenden Instrumenten der Verwaltung. Der hierzu im Jahr 2013 durchgeführte Online-Dialog geht aus diesem Grund als Maßnahme des Bereichs Kommunikation in den Leitfaden ein. Er wurde im Rahmen des Partizipationspreises 2014 mit dem 3. Platz des Jurypreises ausgezeichnet.
Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?
Der Leitfaden trägt als anwendungsbezogenes Arbeitsmittel dazu bei, die Bewertung und Umsetzung von sicherheitsfördernden Maßnahmen in Bezug auf den Radverkehr in den Kommunen voranzutreiben. Damit unterstützt er die Erhöhung der Radverkehrssicherheit vor Ort und ermöglicht es, das Fahrradfahren bundesweit sicherer und gleichzeitig attraktiver zu machen.
Außerdem bezieht er Erfahrungen und Maßnahmen zusätzlich sowohl aus dem Ausland als auch aus dem Bereich der Kommunikation (als Abgrenzung zu rein infrastrukturellen Ansätzen) mit ein und erweitert damit das "traditionelle" Maßnahmenpaket zur Entschärfung von Abbiegekonflikten im Radverkehr.
Sicher geradeaus! Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz - Bilderstrecke
Finanzierung
Finanzierung
Bundesmittel, Landesmittel
Gesamtvolumen
70.000 Euro
Gefördert wurde das Projekt durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur im Rahmen des Nationalen Radverkehrsplans 2020. Berlin beteiligte sich zusätzlich mit Eigenmitteln an der Umsetzung des Bürgerbeteiligungsverfahrens.
Projektträger & Beteiligte
Projektdurchführende Institutionen
Land
Projektleitung
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Abteilung VII - Verkehr, Referat VII A - Grundsatzangelegenheiten der Verkehrspolitik, Verkehrsentwicklungsplanung
Projektbeteiligte
- PGV-Alrutz, Hannover
- Zebralog GmbH & Co KG, Berlin
- plan & rat, Braunschweig
Laufzeit
Dauermaßnahme
Nein
Öffentlichkeitsarbeit & Dokumentation
Projektbeteiligte
Sicher geradeaus! Leitfaden zur Sicherung des Radverkehrs vor abbiegenden Kfz, Berlin (2015)
Projektbeschreibung Internetpräsenz des Landes Berlin
Beteiligungsverfahren zur Radverkehrssicherheit in Berlin inklusive Auswertungsbericht
Kommunale Ansprechpartner
Dr. Julius Menge
Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz Berlin
Abteilung VII - Verkehr
Am Köllnischen Park 3
10179 Berlin
+49 (0)30/9025-1566
Erscheinungsdatum: 1.9.2013
Autor: Julius Menge, Ina Spiegelberg (Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt Berlin, Abteilung für Verkehr)