Infrastruktur als Einflussfaktor auf den Radverkehr
InfRad1.9.2015 - 1.4.2019
Bund bzw. bundesweit
29.7.2019
Einleitung und Hintergrund
Das individuelle Mobilitätsverhalten wird durch viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst. Vor dem Hintergrund vielfältiger Ansprüche an den öffentlichen Raum, knapper Flächenressourcen und steigender Radverkehrsanteile wird im Projekt InfRad die Infrastruktur als Einflussfaktor auf den Radverkehr betrachtet. Hierbei werden strukturelle Zusammenhänge auf Basis quantitativer Daten und spezifische Infrastrukturpräferenzen der Radnutzer auf Basis einer Online-Erhebung untersucht.
Projektziele und Fragestellung
Gesamtziel des Projekts war es, die Bedeutung der Infrastruktur für die Fahrradnutzung zu bestimmen, Infrastrukturpräferenzen der Radfahrenden zu synthetisieren und die Ergebnisse für die Praxis nutzbar zu machen. Hieraus ergeben sich folgende Teilziele des Vorhabens:
- Die Ausstattung der Untersuchungsgebiete im Hinblick auf die Radfahrtauglichkeit der lokalen Straßeninfrastruktur soll auf Basis quantitativer Geodaten in kleinräumiger Differenzierung (quartiersbezogen) beschrieben werden.
- Ein möglicher Zusammenhang zwischen der Ausgestaltung der lokalen Infrastruktur und der Fahrradnutzung soll analysiert und beschrieben werden.
- Spezifische Infrastrukturpräferenzen von Radfahrenden, differenziert beispielsweise nach Mobilitätsverhalten oder genutztem Fahrradtyp, sollen synthetisiert werden.
- Die Projektergebnisse sollen zusammengefasst, für die Praxis nutzbar gemacht und in einem Factsheet veröffentlicht und verbreitet werden.
Inhalt und Methoden
Sekundärdatenanalysen
Zunächst wurde ein Verfahren entwickelt, welches die Radfahrtauglich urbaner Gebiete misst. Im Kern besteht die Entwicklung dieses Bikeability-Index aus drei Komponenten:
- Literaturstudie zum Ermitteln relevanter Einflussgrößen,
- Expertenprozess zur Verifizierung und zum Entwickeln eines Gesamtzusammenhanges durch Gewichtung der einzelnen Parameter,
- Berechnung von Indexwerten für gegebene Raumeinheiten auf Basis offener Geodaten.
Die Literaturanalyse und der Expertenprozess ergeben sich folgende Einflussfaktoren in der Rangfolge der Bedeutung für den Gesamtindex: Abdeckung von Hauptstraßen mit Radverkehrsanlagen, Kreuzungsdichte, Anteil ruhiger Straßentypen, grüne Wege sowie Verleih- und Reparatureinrichtungen. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse der Berechnung am Beispiel Berlins auf Basis der statistischen Gebiete. Der Gesamtwert der Radfahrtauglichkeit führt verschiedene Daten und Skalen zusammen und ist als dimensionsloser, normalisierter Wert zu verstehen.
Zusammengefasst zeigt die Gesamtbetrachtung der Radfahrtauglichkeit gegenüber einzelnen infrastrukturellen Merkmalen Vorteile in der Erklärung des Anteils des Radverkehrs. Auch im Wirkgefüge mit soziodemographischen Merkmalen ist die Aussagekraft signifikant. Der Mehrwert dieser komplexeren Modelle hinsichtlich Erklärungsgüte ist hingegen gegenüber simplen, rein soziodemographischen Modellen gering.
Erhebung
Es wurde ein diskretes Entscheidungsexperiment konzipiert. In dieser Methode werden einzelne Routeneigenschaften zu gesamten Routenalternativen zusammengefügt und somit gesamte Routenalternativen als Summe der Merkmale durch die ProbandInnen bewertet. Dabei wurden neben der Reisedauer sechs Merkmale zur Straßengestaltung mit jeweils zwei bis fünf möglichen Ausprägungen differenziert (Straßentyp, Radverkehrsinfrastruktur, Regelungen für den Kfz-Verkehr, Straßenoberfläche, Parken, Straßenbäume).
Die Befragung schlossen rund 4.400 Teilnehmende aus ganz Deutschland ab. Die Ergebnisse der gesamten Stichprobe sind in der Abbildung 2 dargestellt. Dabei zeigt sich, dass Fahrradstraßen durch die ProbandInnen besonders positiv bewertet werden. Auch die Straßenmerkmale „geschützter Radfahrstreifen“ und „glatte Oberfläche“ sind für die ProbandInnen von großer Bedeutung. Bei getrennter Führung werden geschützte Radfahrstreifen etwa doppelt so gut bewertet wie Radfahrstreifen oder Schutzstreifen mit einer ausschließlich markierten Trennung zu Kfz-Fahrstreifen. Bauliche Radwege werden dagegen im Mittel nur wenig attraktiver wahrgenommen als reine Markierungslösungen. Im Mischverkehr werden Fahrradstraßen deutlich besser bewertet als Tempo-30-Zonen oder verkehrsberuhigte Bereiche. Diese generellen Präferenzen sind in der Stichprobe stabil und gelten ohne größere Unterschiede in sämtlichen Raumstrukturen. Auch hinsichtlich soziodemographischer Teilgruppen konnten keine grundlegenden Unterschiede in der Rangfolge identifiziert werden. Baulich getrennte Infrastrukturen bzw. ein geringes Geschwindigkeitsniveau des Kfz-Verkehrs werden jedoch von älteren Menschen und Radfahrenden, die mit Kind unterwegs sind, sowie NutzerInnen innovativer Fahrradtypen (Lastenrad und Pedelec) noch attraktiver wahrgenommen als in der Allgemeinheit. Aus NutzerInnensicht besteht also weitgehende Einigkeit über eine wünschenswerte Radinfrastruktur. Von einer diesbezüglich nutzerfreundlichen Verbesserung der Verkehrsverhältnisse für den Radverkehr profitieren also besonders Schutzbedürftige (Kinder und ältere VerkehrsteilnehmerInnen) überdurchschnittlich. Gleichzeitig scheint eine entsprechende Schwerpunktsetzung zukünftig noch relevanter zu werden, da NutzerInnen innovativer Fahrradtypen diese Infrastrukturlösungen überdurchschnittlich positiv bewerten.
Weitere Einzelheiten und differenzierte Ergebnisse sind der angehängten Veröffentlichung „Attraktive Radinfrastruktur“ zu entnehmen. Diese stellt die Kernergebnisse des Projekts mit Fokus auf die Ergebnisse der Erhebung für die Fachöffentlichkeit dar.
Praxistransfer
Die Kernergebnisse des Projektes mit Fokus auf die Ergebnisse der Erhebung sind im Factsheet „Attraktive Radinfrastruktur“ zusammengestellt.
Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?
Infrastrukturelle Einflussfaktoren auf die Fahrradnutzung und entsprechende Präferenzen der Fahrradnutzer waren nicht ausreichen erforscht. Das Projekt lieferte hinsichtlich Neuheitsgrad und Innovation auf zwei Ebenen neue Erkenntnisse und trug zur praxisorientierten Weiterentwicklung des Standes der Forschung bei:
Unter Nutzung der stets aktualisierten und detailreichen offenen Geodaten der OpenStreetMap wurde ein adaptives und übertragbares Verfahren entwickelt, welches die Radfahrtauglichkeit urbaner Gebiete misst. Die Gewichtung der Einzelparameter beruht auf der konsensualen Einschätzung zahlreicher Experten. Somit wurde ein innovativer Methodenmix angewandt.
Mit der Methode des diskreten Entscheidungsexperimentes wurde eine dem aktuellen Stand der Forschung entsprechende Methode angewandt, um das Routenwahlverhalten der Radfahrenden zu analysieren. Somit konnten Zusammenhänge und Besonderheiten zahlreicher Teilgruppen analysiert und verglichen werden. Über die Quantifizierung mit der Bereitschaft für längere Reisezeiten konnte zudem ein innovativ verständlicher Output generiert werden, der verschiedene Infrastrukturoptionen vergleichend darstellt.
Infrastruktur als Einflussfaktor auf den Radverkehr - Bilderstrecke
Finanzierung
Finanzierung
Bundesmittel
Gesamtvolumen
210.881 Euro
Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aus Mitteln des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 gefördert.
Evaluation
Ja. Eine projektbegleitende Prozessevaluation durch einen Projektbeirat aus fünf Experten über die gesamte Laufzeit war Bestandteil des Projekts. Darüber hinaus nahmen Vertreter des Projektes an regelmäßig tagenden Forschungskreisen inhaltlich verwandter Projekte des NRVP teil.
Projektträger & Beteiligte
Projektdurchführende Institutionen
Unternehmen, Universität, Verband, Verein, Private
Projektleitung
- DLR - Institut für Verkehrsforschung, Mobilität und urbane Entwicklung
Projektbeteiligte
- DLR - Institut für Verkehrsforschung; Mobilität und urbane Entwicklung
- PGV-Alrutz
Laufzeit
Dauermaßnahme
Nein
Öffentlichkeitsarbeit & Dokumentation
Projektbeteiligte
Download Endbericht: Attraktive Radinfrastruktur. Routenpräferenzen von Radfahrenden , Berlin, 2019
Ansprechpartner auf Projektebene
Michael Hardinghaus
DLR - Institut für Verkehrsforschung
Rutherfordstraße 2
12489 Berlin
+49 (0)30/670557970
Erscheinungsdatum: 21.12.2015
Autor: Michael Hardinghaus, Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR), Institut für Verkehrsforschung, Mobilität und Urbane Entwicklung