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Konfliktlösung zwischen Verkehrsteilnehmenden bei der Fahrradmitnahme im ÖPNV

Kampagne für mehr Akzeptanz und ein besseres Miteinander
Projektzeitraum

1.1.2016 - 1.12.2017

Land

Bund bzw. bundesweit

Stand der Information

9.7.2019

Logo "Modellvorhaben Nicht-Investiv" der Logofamilie Radverkehr des Bundesministeriums für Digitales und Verkehr. Die Farbe des Logos ist lila. Neben dem Schriftzug deutet ein Kreis mit sich überlagernden Elementen ein Rad mit Speichen an.

Die Fahrradmitnahme ist in Bus und Stadtbahn zu bestimmten Zeiten erlaubt und in den Eisenbahnen immer möglich. Sie birgt aber sowohl großes Konfliktpotenzial bei den Fahrgästen als auch Probleme für die Betreiber. Ziel des Projekts war es, bestehende Konflikte zu erheben, offensiv zu thematisieren und zu entschärfen.

Testmarkierung Mehrzweckabteil Boden Stadtbahn

1. Ausgangssituation, Darstellung der Projektidee und -ziele

Mit der Thematik der Verknüpfung von Fahrrad und ÖPNV beschäftigt sich die Region Hannover seit ihrer Gründung 2002, da sie Aufgabenträgerin für den ÖPNV ist und Mehrheitsanteile am Verkehrsverbund GVH (Großraum Verkehr Hannover) hält. Zusätzlich wird die Verknüpfung von Fahrrad und ÖPNV auch in aktuellen regionalen Planungen wie dem Verkehrsentwicklungsplan pro Klima, dem Nahverkehrsplan und dem Handlungskonzept Radverkehr sowie in den kommunalen Planungen der Mitgliedskommunen in der Region Hannover zunehmend thematisiert.

Die Fahrradmitnahme in der Region Hannover ist in Bus und Stadtbahn nur zu bestimmten Zeiten erlaubt, in den Eisenbahnen jederzeit (teilweise kostenpflichtig) möglich. Die Fahrradmitnahme birgt sowohl ein erhebliches Konfliktpotenzial zwischen den Fahrgästen als auch Probleme für die Betreiber. Neben Fahrrädern wollen auch Kinderwagen, Rollstühle und Rollatoren mitgenommen werden und stehen möglicherweise in Konkurrenz miteinander. Auch werden Klappsitze in Mehrzweckabteilen häufig als Sitzplätze von anderen Fahrgästen genutzt. Den Betreibern steht nur beschränkt Platz und somit Mitnahmekapazität zur Verfügung.

Ziel des Projekts war es, die bestehenden Konfliktfelder zu erheben, offensiv zu thematisieren und diese nach Möglichkeit zu entschärfen. Grundlagen sollte eine Literaturrecherche zu diesen Konflikten sowie eigene Erhebungen sein. Eine Kommunikationsstrategie für mehr Akzeptanz zwischen Radfahrenden und Fahrgästen ohne Rad sollte entwickelt werden. Vorhandene technisch-betriebliche Optimierungsmöglichkeiten der Fahrradmitnahme als weitere Komponente der Konfliktlösung sollten in einer Sammlung von Lösungen dargestellt und mit den eigenen Erhebungen abgeglichen werden. Unter Betracht der Ergebnisse sollten weitere Lösungen entwickelt werden, um die Fahrradmitnahme zu erleichtern. Ziel war eine Kampagne zur Konfliktlösung mit begleitenden betrieblich-technischen Erleichterungen der Fahrradmitnahme, die in einer Testphase umgesetzt und evaluiert werden sollte.

2. Projektdurchführung

Das Projekt wurde von einem durch die Region Hannover beauftragten Projektteam aus einem Ingenieurbüro und einem Büro für Kommunikation und Industriedesign fachlich begleitet und moderiert. Die Projektdurchführung wurde von einer intensiven Abstimmung mit dem Verkehrsverbund GVH, den beteiligten Verkehrsunternehmen, Fahrgastverbänden und Lobbygruppen begleitet. Es fanden regelmäßige Treffen im Rahmen einer Lenkungsgruppe statt.

Aus Literatur- und Internetrecherche, Testfahrten, Beschwerdemanagement und Social-Media-Auswertungen, der Durchführung von Experteninterviews sowie Befragungenen von Fahrpersonal, Betriebsleitungen, Lobbygruppen und der Auswertung der Infrastruktur in den Fahrzeugen des GVH ergaben sich folgende Handlungsfelder und Verbesserungsbedarfe, welche mit Hilfe eines Kriterienrasters erstellt wurden:

  1. Regeln sind unklar und weichen in Theorie und Praxis ab
  2. Verträglichkeit: Fahrräder sind kein Problem – sondern das Zusammentreffen aller Mehrzweckabteilnutzenden
  3. Infrastruktur ist für Fahrradmitnahme nicht optimiert
  4. Mitnahmeszenarien: Uneinheitliche Mitnahmezeiten innerhalb eines Verbundes sind kaum vermittelbar
  5. Kommunikation: Intern wie extern besteht Kommunikationsbedarf

Aus diesen Handlungsbedarfen wurden folgende Schlussfolgerungen für die Fahrradmitnahme identifiziert, die im Gebiet des GVH umgesetzt werden sollen:

1. Regeln

  • Transparente Regeln
  • Klare Kunden-Kommunikation in den Fahrzeugen
  • Klare interne Kommunikation

2. Verträglichkeit

  • Priorisierung erforderlich (Behinderte, Kinderwagen, Fahrräder)
  • Kommunikation untereinander anregen
  • ALLE Nutzer sind willkommen

3. Infrastruktur

  • Fahrzeuge und Haltestellen für die Mitnahme optimieren
  • Mehrzweckbereiche in ausreichender Größe schaffen
  • Mehrzweckbereiche innen und außen deutlich kennzeichnen

4. Mitnahmeszenarien

  • Einheitliche Mitnahmezeiten (GVH)
  • Bzw. generelle Freigabe Radmitnahme

5. Kommunikation

  • Kick-off Workshop
  • Interner Kommunikationsprozess
  • Personal schulen und einbinden
  • Externes Kommunikationskonzept / Aktionen in der Einführungsphase

Im weiteren Verlauf mussten die ursprünglichen Planungen zur Projektdurchführung leicht angepasst werden. Die Umsetzung der geplanten Kampagnentestphase konnte aufgrund der zunächst verhaltenen Bereitschaft der Verkehrsunternehmen, was die Erarbeitung von Freigabeszenarien angeht, so nicht durchgeführt werden. Dieser Teil wurde durch einen sogenannten „Kick-off Workshop“ ersetzt, welcher letztlich den erhofften Durchbruch in der Bereitschaft aller Beteiligten, die Bedingungen der Fahrradmitnahme zu optimieren sowie eine Kampagne und Anpassungen der Fahrzeuge durchzuführen, mit sich brachte.

Der Workshop zeichnete sich unter anderem durch die vielfältige Teilnehmerschaft aus, die aufseiten der Verkehrsunternehmen und des Verkehrsverbundes vom Fahrpersonal über Betriebs-, Marketing- und Kommunikationsmitarbeiter hin zur Geschäftsführung ging sowie zahlreichen bei der Region Hannover mit ÖPNV- und Radverkehr befassten SachbearbeiterInnen und Abteilungsleitungen.

Bestandteil des Workshops waren unter anderem Perspektivwechsel, welche mögliche Situationen in Bussen sowie Stadtbahnwagen in Gruppen erlebbar machten. Dadurch wurden wesentliche Grundlagen erarbeitet, und es konnte ein Verständnis für die weitere Umsetzung des Projektes erreicht werden.

Es wurden Vorschläge für Regeln und die Vermittlung dieser Regeln erarbeitet („Ich bin hier willkommen, aber selbstverständlich mache ich Platz für …“). Über die Tarifbestimmungen des GVH werden diese verankert.

Es gab das einheitliches Votum der Teilnehmenden, zunächst die Sperrzeiten auf den Zeitraum 6:30 Uhr bis 8:30 Uhr sowie 15:30 Uhr bis 18:30 Uhr zu lockern und auch zu vereinheitlichen. An Wochenenden und Feiertagen ist die Fahrradmitnahme ganztägig möglich, dies wird für die Sommerferien ebenfalls angedacht. Die neuen Mitnahmezeiten und Tarifbestimmungen sind zum 19.05.2019 in Kraft getreten. Nach Evaluation der Maßnahmen könnten ggf. weitere Freigabeschritte erfolgen.

Es wurde sich außerdem darauf geeinigt, mit einer Agentur eine verbesserte Kennzeichung und einheitliche Gestaltung der Mehrzweckabteile, ein Schulungskonzept für das Fahrpersonal sowie eine kreative begleitende Kampagne zu erarbeiten. Die Umsetzung von Kampagne, Gestaltung sowie Schulungen ist ebenfalls im Mai 2019 im Nachgang des eigentlichen NRVP-Projekts durch den GVH erfolgt. Bodenmarkierungen und Haltestangenmarkieriungen erfolgen zunächste testweise. Über die Mikro-Website harmonie.gvh.de informiert der GVH über das neue Miteinander und Änderungen bzgl. der Fahrradmitnahme unter anderem durch ein interaktives Video, welches auch für Schulungszwecke eingesetzt wird. Verschiedene Aktionsvideos und andere Medien sollen ebenfalls helfen, das Miteinander im ÖPNV zu verbessern. Im Zuge einer Pressekonferenz sowie der Fahrradaustellung StadtMensch&Fahrrad in Hannover wurden die neuen Layouts und Regelungen zuvor der Öffentlichkeit vorgestellt.

Im Rahmen des NRVP gibt es weitere Projekte, die sich ebenfalls mit der Verknüpfung von Fahrrad und öffentlichen Verkehrsmitteln befassen. Mit diesen wurde sich im Rahmen eines übergeordneten Arbeitskreises, der von der Universität Frankfurt koordiniert wurde, an mehreren Terminen abgestimmt und ausgestauscht.

3. Projekterfolge

Das Ziel, die Fahrradmitnahme im ÖPNV der Region Hannover zu optimieren, konnte über Umwege erreicht werden. Ergebnis des Projekts war zum einen, dass die Fahrrad-Mitnahmezeiten im 1.Halbjahr 2019 im Regionsgebiet bereits leicht erweitert und vor allem harmonisiert werden. Somit ist die Mitnahme besser vermittelbar und planbar für die Nutzerinnen und Nutzer. Zum anderen wurde die allgemeine Bereitschaft hergestellt, das Miteinander im ÖPNV – unter besonderer Berücksichtigung der Fahrradmitnahme – durch eine Öffentlichkeitskampagne, verständliche Regeln und Piktogramme in den Fahrzeugen sowie durch interne Schulungen zu verbessern. Die Umsetzung ist erfolgt und alle Maßnahmen sollen nach einem Jahr evaluiert werden.

Beim „Kick-Off-Workshop“ wurde mit den Verkehrsunternehmen zudem abgestimmt, dass nach erfolgreicher Evaluation der angestrebten Harmonisierungs-Kampagne eine substantielle Erweiterung der Mitnahmezeiten (zunächst Wegfall der nachmittäglichen Sperrzeit) für einen beschränkten Zeitraum probeweise eingeführt werden könnte.

Die hier gewonnenen Erkenntnisse sowie die gewählten Abläufe und Methoden sollen übertragbar sein. Somit sind sie auch für andere Landkreise bzw. Aufgabenträger im ÖPNV sowie für Verkehrsverbünde hilfreich bei der Verständigung und Umsetzung einer Harmonisierung der Fahrradmitnahme und des Miteinanders im Mehrzweckabteil insgesamt.

Die Ergebnisse des Projekts wurden bereits im Rahmen der öffentlichen Veranstaltung „2-Rad Perspektiven“ bei der Region Hannover vorgestellt, sowie auf der Abschlusssitzung des Arbeitskreises „Fahrrad und Intermodalität“ der Universität Frankfurt präsentiert.

Die Ergebnisse des Umsetzungsprozesses sind unter harmonie.gvh.de einsehbar.

Eine Veröffentlichung erfolgte zudem im Rahmen eines Webinars der Fahrradakademie. Ein Artikel in einer Fachzeitschrift ist geplant. Außerdem sind Vorstellungen der Ergebnisse in verschiedenen Facharbeitskreisen oder Tagungen angedacht.

Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?

Das Projekt ist in verschiedenen Stufen aufgebaut, damit auch einzelne Ergebnisse im Anschluss verwertbar sind. Die ermittelten Hintergründe zu den Konfliktsituationen sind auch für andere Regionen Deutschlands als Konflikte anzunehmen. Ein Anspruch auf Repräsentativität ist daraus jedoch nicht abzuleiten. Die Handlungsempfehlungen zu den verschiedenen Bereichen mit dem Ziel der verbesserten Fahrradmitnahme können auch für andere Verkehrsunternehmen hilfreich sein. Ebenso sind die Grundlagen der Kampagnenentwicklung, wie die Kernbotschaften, übertragbar.

Konfliktlösung zwischen Verkehrsteilnehmenden bei der Fahrradmitnahme im ÖPNV - Bilderstrecke

Bild / Video 01 / 04

Flyer zur Kampagne

Finanzierung

Gesamtvolumen

95.042 Euro

Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur aus Mitteln des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 gefördert.

Finanzierung der Umsetzungsstrategie nach Auslaufen der Förderung durch den Verkehrsverbund GVH (Großraum Verkehr Hannover).

Evaluation

Ja. Es wurde eine kontinuierliche Prozessevaluation durchgeführt.

Projektträger & Beteiligte

Projektdurchführende Institutionen

Kommunal: Landkreis

Projektleitung

Region Hannover, Fachbereich Verkehr, Team Verkehrsentwicklungsplanung

Projektbeteiligte

  • PGT Umwelt und Verkehr GmbH
  • Die Identitätsstiftung GmbH

Laufzeit

Dauermaßnahme

Nein

Info zur Laufzeit

Weiterführung bis 2020 im Rahmen einer Umsetzungsstrategie mit Evaluierung

Ansprechpartner auf Projektebene

Klaus Geschwinder

Region Hannover

Hildesheimer Str. 18

30169 Hannover

0511/61623409

Erscheinungsdatum: 8.6.2016

Autor: Sina Wennning, Region Hannover