Fahrradstraßen in Essen
Empfehlungen für die Gestaltung von FahrradstraßenNordrhein-Westfalen
12.12.2019
1. Einleitung
In Essen gibt es mittlerweile 54 Fahrradstraßen. Die Stadt sieht in Fahrradstraßen ein Mittel, den Radverkehr sicher und schnell zu führen, die Routenführung zu verdeutlichen und Alternativen zu den Hauptverkehrsstraßen zu schaffen. Gerade für finanzschwache Kommunen ermöglichen Fahrradstraßen eine kostengünstige Förderung des Radverkehrs. Wenn lediglich Schilder errichtet und Piktogramme markiert werden, beziffern sich die Kosten laut Stadt auf unter 7 Euro pro Meter.
Was ist eine Fahrradstraße?
Das Zeichen 244.1 der StVO markiert den Beginn einer Fahrradstraße. Soweit sie nicht durch ein Zusatzzeichen freigegeben sind, sind andere Fahrzeuge außer Fahrrädern auf Fahrradstraßen verboten. Es gilt eine Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h und das Nebeneinanderfahren von Fahrrädern ist erlaubt. Laut VwV-StVO kommen Fahrradstraßen "dann in Betracht, wenn der Radverkehr die vorherrschende Verkehrsart ist oder dies alsbald zu erwarten ist."
Hinweis
Das im Folgenden vorgestellte Praxisbeispiel wurde im Rahmen des NRVP-Projektes "Empfehlungen für die Gestaltung von Fahrradstraßen" erstellt. Die beschriebenen Fahrradstraßen sind eine Bestandsaufnahme und zeigen den aktuellen Stand verschiedener Beispiele in Deutschland. Bei den im Text gemachten Aussagen handelt es sich um die zum Teil subjektiven Einschätzungen der zuständigen kommunalen Planenden sowie die Einschätzung der Autoren, die im Rahmen von Experteninterviews geäußert wurden.
2. Netzbedeutung und zugelassene Verkehrsarten
Bisher wurden in Essen Fahrradstraßen immer in bereits existierenden Tempo-30-Zonen angelegt, die umgewidmeten Straßen sind meist in das Radverkehrsnetz eingebunden. Bis auf eine Ausnahme gilt in allen Fahrradstraßen in Essen die Rechts-vor-links-Regel, der Kfz-Verkehr ist überall zugelassen. Es gibt diverse Fahrradstraßen mit Schulbusverkehr, im Hellweg gibt es einen Abschnitt von 300 m mit Linienbusverkehr (siehe Abb. 1). Bisher gab es hier keine Probleme. Der Busbetreiber Ruhrbahn war bei der Einrichtung der Fahrradstraße zunächst skeptisch, aber da die Straße wichtig für ein durchgängiges Radverkehrsnetz ist, wurde sie trotzdem angeordnet.
Der sich in der Umsetzung befindende Radschnellweg RS1 verläuft auf Essener Stadtgebiet nur auf alten Bahntrassen. Daher sind hier, im Gegensatz zu anderen Anrainerstädten wir z.B. Bochum, keine Fahrradstraßen geplant.
3. Gestaltung
Bisher wurden Fahrradstraßen sehr einfach gehalten und lediglich Schilder und Piktogramme angebracht. Auf neueren Straßen werden neben den Piktogrammen Richtungspfeile angebracht, die den Radfahrenden den weiteren Verlauf der Radroute anzeigen (siehe Abb. 2).
Es gab eine Zeit, in der auch das Parken gekennzeichnet und relativ breite Straßen durch Linien verkleinert wurden. Dies hatte aber zur Folge, dass Radfahrende trotz Piktogrammen in der Mitte der Fahrbahn rechts dieser Linien gefahren sind (so z.B. in der Altenessener Straße zwischen Katzenbruchstraße und Unsuhrstraße).
Bisher hat die Stadt Fahrradstraßen mit Fahrgassen von minimal 3,50 m (mit Ausweichstellen) und maximal 5,50 m umgesetzt. Bei beidseitigen Senkrechtstellplätzen sind auch Fahrradstraßen mit 6 m Fahrbahnbreiten umgesetzt worden. Ein Entfall von Stellplätzen war in der Vergangenheit für die Akzeptanz problematisch (siehe Abb. 3). Hierzu zeichnet sich eine Wende ab.
Die Stadt plant im Rahmen eines Lead City Projektes zur Zeit 3 Fahrradstraßenachsen. Dabei wird auch ein neuer Standard entwickelt. Dieser sieht eine Fahrgassenbreite von 4 m bis 5,50 m vor. Zusätzlich wird zwischen Parkständen und Fahrgasse ein 50-75 cm breiter Sicherheitsstreifen durch Blockmarkierung angelegt. Auf der Fahrgasse werden Piktogrammketten markiert. Dadurch sollen Radfahrende ermutigt werden, mittig auf ihrer Spur zu fahren und Autofahrende soll der Vorrang des Radverkehrs ständig verdeutlicht werden. Bei Busverkehr in beiden Richtungen soll eine Breite von 6 m erreicht werden.
Da die Fahrradstraßen meist in schon verkehrsberuhigten Tempo-30-Zonen errichtet wurden, sah die Stadt bisher keine Notwendigkeit, weitere Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung zu ergreifen. In den existierenden Fahrradstraßen gibt es bereits z.T. Einbahnstraßen, Sperren und Aufpflasterungen (siehe Abb. 4). In Essen gibt es etwa 300 für den Radverkehr geöffnete Einbahnstraßen, die zum Teil auch Fahrradstraßen sind. Außer stellenweise existierende Ausfädel- oder Einfädelspuren für den Radverkehr gibt es keinen speziellen Übergang von der Fahrradstraße ins übrige Netz.
4. Politik, Verwaltung und Bevölkerung
Die Politik ist aktuell zum Thema sehr positiv eingestellt und fordert die Einrichtung weiterer Fahrradstraßen. Dies war nicht immer so, in den 1990er-Jahren gab es sehr viel Ablehnung. Doch aktuell werden sogar Fahrradstraßen in eher konservativen Bezirken umgesetzt. Da Fahrradstraßen bisher nur in existierenden Tempo-30-Zonen umgesetzt wurden, konnte dies von den jeweiligen Bezirksvertretungen beschlossen werden.
Der Denkmalschutz spielt bei der Einrichtung von Fahrradstraßen in Essen bisher keine große Rolle, da im 2. Weltkrieg sehr viel zerstört wurde. Bei geplanten Einrichtungen von Fahrradstraßen gibt es Ortstermine mit den Bezirksvertretungen, wenn gewollt finden auch Befahrungen statt. Bei der Planung der Lead City Fahrradstraßenachsen findet eine Bürgerbeteiligung durch Befragungen, Befahrungen, Diskussionsrunden und Flyer statt.
Die Bevölkerung steht dem Thema relativ neutral gegenüber. Es gab bereits ein Bürgerbegehren für eine Fahrradstraße, in der Straße Lanfermannfähre hingegen wurden im Jahre 2000 während der Markierungsarbeiten die Einrichtung einer Fahrradstraße nach Protesten wieder zurück genommen, da der Radverkehr zu dominant war und die Bevölkerung Angst hatte, dass durch eine Fahrradstraße die Dominanz des Radverkehrs weiter gesteigert würde. Heute ist diese Straße immer noch keine Fahrradstraße. Die Bezirksvertretung hat jedoch in 2018 die Einrichtung einer Fahrradstraße bei der Verwaltung gefordert.
Die Regelkenntnis in der Bevölkerung zu Fahrradstraßen ist sowohl bei Autofahrenden wie auch Radfahrenden nach Ansicht der Stadtverwaltung gering. Die Stadt versuchte, mit Flyern, die bei der Einrichtung an die betroffenen Haushalte verteilt wurden, und Bannern Aufklärungsarbeit zu leisten. Dies musste zwischenzeitlich aufgrund von Personalmangel eingestellt werden. Auch die Presse berichtet viel und positiv zum Thema.
5. Fazit und Ausblick
Aktuell weisen die Fahrradstraßen in Essen lediglich minimale Gestaltungsmerkmale auf. Dies liegt zum einen an den wenigen finanziellen Mitteln der Kommune, zum anderen aber auch an dem geringen Radverkehrsanteil und einer in der Bevölkerung vorhandenen Skepsis gegenüber Einschränkungen für den MIV.
Da die Stadt aber nun "Lead City" im "Sofortprogramm Saubere Luft" des Bundes ist, kann sie in diesem Rahmen drei neue Fahrradrouten (Rüttenscheid – Holsterhausen – Frohnhausen; Rüttenscheider Straße; Ruhr – Rhein-Herne-Kanal) errichten. Hierfür stehen der Kommune 500.000 Euro zur Verfügung. Die Stadt Essen wird für diese Projekte einen neuen Standard für den Bau von Fahrradstraßen entwickeln. Ziel ist, dass die Rad Fahrenden durch Breitenvorgaben und unterstützende Markierungen prominent auf ihren Straßen sicher unterwegs sind. Zusätzliche bauliche Maßnahmen oder Grüne Wellen für den Radverkehr sollen geprüft werden. Eine Fertigstellung der Maßnahmen ist bis Sommer 2021 geplant. Die dann umgesetzten Fahrradstraßen könnten als Vorbild für zukünftige Fahrradstraßen der Stadt genutzt werden.
Nachfolgend ein kurzer Überblick einiger Fakten der Stadt Essen zum Radverkehr:
- Modal-Split Radverkehr: 7 Prozent
- Anzahl Fahrradstraßen: 54
- Gesamtlänge Fahrradstraßen: ca. 25 km
- Erste Fahrradstraße im Jahr: seit den 1990er Jahren
Fahrradstraßen in Essen - Bilderstrecke
Projektträger & Beteiligte
Projektdurchführende Institutionen
Kommunal: Kreisfreie Stadt
Öffentlichkeitsarbeit & Dokumentation
Projektbeteiligte
Übersichtskarte der Fahrradstraßen in Essen (das Öffnen des Links kann u.U. etwas dauern)
Folgende Fahrradstraßen wurden von uns befahren:
- Dinnendahlstraße
- Eleonorastraße
- Graffweg
- Heinickenstraße
- Hellweg
- Hiltrops Kamp
- Im Haferfeld
- Karolinenstraße
- Kersebaumstraße
- Kunstwerkerstraße
- Kütings Garten
- Lanterstraße
- Laurentiusweg
- Michaelstraße
- Rellinghausener Straße
- Renzelweg
- Vöcklinghausener Straße
- Von-Einem-Straße
Folgende weitere Städte wurden im Rahmen des NRVP-Projektes "Empfehlungen für die Gestaltung von Fahrradstraßen" näher betrachtet:
- Berlin-Mitte (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-im-bezirk-berlin-mitte)
- Bonn (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-bonn)
- Dreieich (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-dreieich)
- Erlangen (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-erlangen)
- Göttingen (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-goettingen)
- Hamburg (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-hamburg)
- Kiel (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-kiel)
- Konstanz (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-konstanz)
- Senftenberg (Link fehlt: https://nationaler-radverkehrsplan.de/de/praxis/fahrradstrassen-senftenberg)
Kommunale Ansprechpartner
Annette Steiner
Stadt Essen
Amt für Straßen und Verkehr
Abteilung 66-2
Deutschlandhaus
Lindenallee 10
45121 Essen
+49(0)201/8866226
Erscheinungsdatum: 14.2.2020
Autor: Tobias Klein, Difu