Delivery Tycoon – Ein Serious-Game-Konzept mit einem besonderen Fokus auf Radfahrende
Überprüfung des Spielekonzepts1.9.2017 - 1.12.2017
Bund bzw. bundesweit
31.5.2018
Ausgangssituation, Darstellung der Projektidee und ?ziele
Fehlverhalten, fehlende Regelkunde, risikoaffines Fahrverhalten, antisoziale Einstellungen und risikosuchende Motive aller Verkehrsteilnehmer*innen sind häufig Ursachen für Unfälle mit Radfahrer*innen. Rücksichtnahme und ein Bewusstsein über die Handlungs- und Wahrnehmungsmöglichkeiten anderer Verkehrsteilnehmer*innen, insbesondere in Verkehrssituationen, die häufig zu Unfällen für Radfahrer*innen führen, können dabei helfen, die Unfallgefahr für Radfahrer*innen im Straßenverkehr zu verringern.
In der vom Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) geförderten Studie „Verkehr/Infrastruktur und Applied Interactive Technologies“ der Stiftung Digitale Spielekultur wurde der Frage nachgegangen, bei welchen Verkehrsthemen die digitale Spielebranche mit ihren Kompetenzen, ihrem Fachwissen und ihrer Technologie sinnvolle Beiträge leisten kann. Im Rahmen der Studie wurde ein besonderer Schwerpunkt auf Möglichkeiten zur Aufklärung und Sensibilisierung über die Gefahren für Radfahrer*innen im Straßenverkehr und zur Förderung einer prosozialen Einstellung gelegt. Das Thema wurde mit dem BMVI abgestimmt und im Rahmen eines Workshops sowie einer anschließenden Fokusgruppe weiter konkretisiert. Das Ergebnis des Workshops war das Spielkonzept „Delivery Tycoon“ welches im Rahmen dieses Projekts überprüft und weiter konkretisiert wurde.
Konventionelle Strategien zur Wissensvermittlung wie Aufklärungskampagnen für mehr Rücksicht im Straßenverkehr oder Schulungen zu Regelwissen und Gefahrensituationen weisen Probleme in Bezug auf Reichweite, Wirksamkeit und Kosten/Nutzen-Verhältnis auf. Das Verkehrssicherheitsspiel „Delivery Tycoon“ setzt darauf, dass sich die Spieler*innen über einen längeren Zeitraum aktiv und intensiv mit Verkehrsregeln, Regelakzeptanz sowie Gefahrensituationen auseinandersetzen und diese dabei rekapitulieren.
Zielgruppe des Spiels sind dabei gleichermaßen männliche wie auch weibliche Personen im Alter von ca. 35 Jahren. Dies entspricht dem durchschnittlichen Gamer in Deutschland. Da sich Delivery Tycoon in der Außenwahrnehmung als rundenbasierter Wirtschaftssimulator präsentiert, spricht es die Zielgruppe der Gamer, unabhängig von deren präferierten Fortbewegungsmitteln, gleichermaßen an. Somit kommt es zu keiner vorzeitigen Ablehnung durch motorisierte Gamer/Verkehrsteilnehmer*innen. Zentral für die Umsetzung und den Erfolg der App ist die Erkenntnis, dass der Spielspaß im Vordergrund stehen muss. Die Motivation zum Spielen ist die notwendige Bedingung für das Erreichen der darin enthaltenen Vermittlungsziele. Die verkehrserzieherische Intention kann wahrgenommen werden – darf sich den Spieler*innen jedoch nicht aufdrängen.
Projektdurchführung
Projektleitend tätig war die Stiftung Digitale Spielekultur. Für die inhaltliche Ausarbeitung und Präzisierung der Konzeptideen aus dem vorangegangen Workshop war das gamelab.berlin des Exzellenzclusters der Humboldt Universität zu Berlin beratend tätig.
Im vorangegangen Workshop wurde eine Unternehmenssimulation (nach dem Tycoon-Prinzip) als Spielprinzip des Hauptspiels definiert, in der die Spieler*innen ein Fahrrad-Kurier-Startup übernehmen und verschiedene Lieferaufträge ausführen. Während das Hauptspiel vornehmlich strategisches Verhalten und kluge Investition von Ressourcen fördern soll, zielt ein in regelmäßigen Abständen auftretendes Minigame auf eine Kombination von motorischer Geschicklichkeit mit kognitiver Kurzzeitforderung ab. Hiermit soll eine zweite Ebene der Vermittlung erreicht werden. Das eher organisatorisch-infrastrukturelle Spielverhalten aus dem Hauptspiel sollte ergänzt werden von einem Gameplay, das die tatsächliche Subjektperspektive von Radfahrer*innen thematisiert, inklusive verkehrstechnisch herausfordernder akuter Entscheidungssituationen.
Im Rahmen der Konzeptüberprüfung mussten zunächst folgende offene Fragen beantwortet werden:
- Können Gefahrensituationen, Regelkunde und die Vorteile prosozialen Verhaltens so in das Gamedesign integriert werden, dass sie auch als Spielspaß fördernde Elemente rezipiert werden?
- Kann Regelkunde als wertvolles Spielwissen inszeniert werden, das für die Spieler*innen Wert besitzt?
- Sind Spielmechaniken in der Lage, die Vermittlungsziele indirekt zu vermitteln, so dass die Vermittlungsintention vor der Spielmotivation zurücktritt und statt eines expliziten Lernmoments ein spielerisches Lernen generiert werden kann?
- Lässt sich ein entsprechender Lerneffekt identifizieren?
In der nächsten Projektphase wurde das ausgearbeitete Spielekonzept im Rahmen eines Papier-Prototyps (Paper-App) mit externen Proband*innen getestet. Ziel der Prototyp-Vertestung war es, das ausgearbeitete Spielekonzept zu testen. Evaluiert wurden dabei folgende zentrale Fragestellungen:
- Trifft das Gamedesign bei der Zielgruppe auf Akzeptanz, und sind während des Spielverlaufs eindeutige Hinweise auf ein lustvolles, spaßbetontes Erleben des Angebots zu beobachten?
- Ist die Übersetzung der Vermittlungsziele in die Struktur des Spiels auf eine Weise gelungen, die den didaktisch-erzieherischen Auftrag in funktionale, motivationsgenerierende Elemente des Spiels transferiert?
- Ist in den wichtigsten Parametern (Sensibilisierung, Regelkunde, etc.) eine signifikante Veränderung bei den Spieler*innen konstatierbar?
Für die Prototyp-Vertestung wurden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden verwendet. Jeweils vor dem Beginn und dem Ende des Testspiels wurden die Proband*innen aufgefordert, einen Fragebogen auszufüllen. Beide Fragebögen korrespondierten miteinander, um mögliche Veränderungen der Selbsteinschätzung, Regelkunde oder Gefahrensensibilität identifizieren zu können. Darüber hinaus wurde nach jedem Spiel mit jedem Proband*innen ein strukturiertes Kurzinterview geführt. Diese Interviews wurden aufgenommen und im Anschluss detailliert exzerpiert. Die Ergebnisse der Konzeptüberprüfung und Prototyp-Vertestung wurden im Anschluss verschriftlicht und werden im Rahmen der Studie: „Delivery Tycoon - Studie zum Konzept eines Serious Game zur Verkehrserziehung“ veröffentlicht.
Projekterfolge
Die drei zentralen Fragestellungen konnten im Anschluss an die Prototyp-Vertestung beantwortet werden. Die Kernkriterien Spielspaß und didaktischer Mehrwert wurden in der Auswertung der Fragebögen und Interviews besonders gut bewertet. So bewerteten 76 Prozent der Proband*innen den Spielspaß mit “gut” und 18 Prozent mit “sehr gut”. Den didaktischen Mehrwert bewerteten sogar 53 Prozent mit “sehr gut” und alle anderen mit "gut“. Alle abgefragten (Verkehrs-)Regeln wurden mehr oder weniger stark im Spiel thematisiert. In allen Fällen, in denen die Proband*innen zwischen einer falschen und einer richtigen Antwort wählen konnten, ist eine Verschiebung zu den richtigen Antworten erkennbar. Auch konnte im Spielverhalten vieler Proband*innen ein risikoaverses Verhalten beobachtet werden. Diese Beobachtung korrelierte mit Aussagen aus den Interviews, in denen verschiedene Proband*innen angaben, ein Bewusstsein dafür entwickelt zu haben, dass auch bei hohen Sicherheitswerten ihrer Kurierfahrer*innen im Spiel diese dennoch Gefahrensituationen nicht immer vermeiden können. Damit kann das Spielziel als erreicht gelten, defensives, rücksichtsvolles und vorausschauendes Fahrverhalten zu fördern. Somit sind die drei zentralen Ziele der Prototyp-Vertestung erreicht worden.
Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?
Konventionelle Strategien zur Wissensvermittlung wie Aufklärungskampagnen für mehr Rücksicht im Straßenverkehr oder Schulungen zu Regelwissen und Gefahrensituationen weisen Probleme in Bezug auf Reichweite, Wirksamkeit und Kosten/Nutzen-Verhältnis auf.
Lernspiele wie Delivery Tycoon können eine mittlere bis hohe Reichweite erzielen, abhängig von Spielspaß, Marketing und dem Alleinstellungsmerkmal der App in den App-Stores. Digitale Spiele verbinden Lerninhalte mit Spielmechaniken und erzeugen so aktive Handlungen im Spielsystem, die durch Wiederholungen intensiv und nachhaltig gelernt werden. Der Lerneffekt, der durch eine so gestaltete selbstaktive Auseinandersetzung mit Verkehrssicherheit erzielt wird, ist nachweislich nachhaltiger als bei passiven aufklärungs- oder verkehrserzieherischen Maßnahmen. Durch Updates und DLCs (nachladbare Inhalte) lassen sich Inhalte und Lernziele auch nach Markteinführung dynamisch anpassen, was sowohl Laufzeit als auch Effektivität der Maßnahme erhöht. Spiele-Apps wie Delivery Tycoon weisen zudem positive Skalenerträge auf, da der Effekt des Lernspieles trotz steigender Anzahl an Rezipient*innen konstant hoch bleibt und sich die Entwicklungskosten mit jedem zusätzlichen Nutzer weiter amortisieren. Momentan behandelt keine in den App-Stores verfügbare App im konzipierten Spieldesign von Delivery Tycoon das Thema „Verkehrssicherheit von Radfahrer*innen in Städten“ und wirbt gleichzeitig für ein sicheres und fahrradfreundliches Klima, damit besitzt das Spiel eine wahrnehmbare Position am App-Markt.
Die Einsatzmöglichkeiten der App sind vielfältig – so kann Delivery Tycoon beispielsweise als ein interaktives Instrument flankierend zu Verkehrssicherheitsschulungen zum Einsatz kommen, zur Vorbereitung auf die Radfahrprüfung eingesetzt oder als mobile Erweiterung der E-Learning-Plattform „Fahrradakademie“ genutzt werden. Die Spill-Over-Effekte sind dabei wechselseitig: Sie tragen einerseits zur Effizienz der begleitenden Maßnahme bei und fördern gleichermaßen den Bekanntheitsgrad von Delivery Tycoon innerhalb der Peergruppen und den App-Stores. Somit ist ein starkes Argument für die Umsetzung der Spiele-App Delivery Tycoon dessen Wirkung als Multiplikator auf andere Verkehrssicherheitskampagnen des BMVI und NRVP 2020.
Delivery Tycoon – Ein Serious-Game-Konzept mit einem besonderen Fokus auf Radfahrende - Bilderstrecke
Finanzierung
Finanzierung
Bundesmittel
Gesamtvolumen
25.160 Euro
Das Projekt wurde gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2020.
Projektträger & Beteiligte
Projektdurchführende Institutionen
Unternehmen, Universität, Verband, Verein, Private
Projektleitung
Stiftung Digitale Spielekultur GmbH
Laufzeit
Dauermaßnahme
Nein
Öffentlichkeitsarbeit & Dokumentation
Ansprechpartner auf Projektebene
Benedikt Geisbühl
Stiftung Digitale Spielekultur GmbH
Torstraße 6
10119 Berlin
+49 30 29 04 92 90
Erscheinungsdatum: 15.8.2018
Autor: Christian Stein (HU-Berlin), Thomas Lilge (Humboldt Innovation GmbH), Benedikt Geisbühl (Stiftung Digitale Spielekultur)