Entwicklung eines Gamification-Ansatzes zur Attraktivitätssteigerung der Infrastruktur
INSPIRe1.9.2019 - 1.8.2021
Bund bzw. bundesweit
30.4.2024
1. Ausgangsituation, Projektidee und -ziele
Wie im vorhergehenden NRVP-Projekt „RadVerS - Mit Smartphones generierte Verhaltensdaten im Verkehr“ festgestellt werden konnte, setzt sich die Gruppe der Radfahrenden aus unterschiedlichen Typen zusammen, die sich in Verhalten und Bedürfnissen unterscheiden. Sie alle stehen im Alltag ähnlichen Herausforderungen gegenüber, denen nicht immer durch klassische infrastrukturelle Maßnahmen begegnet werden kann. Langgezogene Steigungen oder eine Häufung von Signalanlagen sind hier nur Beispiele. Praktische Fragestellungen, wie „Wohin mit der Bewegungsenergie beim Anhalten an roten Ampeln?“ oder „Wie kann eine Steigung Spaß machen?“ können Anregungen bieten.
An dieser Stelle setzen Gamification-Projekte an, die versuchen, durch eine Erhöhung der Nutzermotivation auch die Radnutzung zu steigern. Gamification kann dabei als „die Verwendung von Spieldesign-Elementen in anderen Kontexten“ verstanden werden. Das Projekt wird nicht auf eine Smartphone-App ausgerichtet sein, um den Ausschluss von Menschen ohne die Möglichkeit oder Bereitschaft der Nutzung von Smartphone-Apps zu vermeiden. Es lassen sich kleinere infrastrukturell integrierte Maßnahmen vornehmen, die lokal und direkt durch die Radfahrenden bespielbar sind. Die einfache, lokale, robuste Installation erspart eine betreuungsintensive Pflege von Daten und IT-Infrastruktur. Sie steht als Endprodukt für den Einsatz auch in kleineren Kommunen sofort zur Verfügung und kann zielgerichtet an unattraktiven Streckenabschnitten platziert werden.
Durch die Integration von verkehrspsychologischen Modellen und Ansätzen der nutzerzentrierten Produktentwicklung wie User Experience Design wird ein praktisch anwendbarer Gamification-Ansatz für den Radverkehr entwickelt. Dabei werden in einem ersten Schritt Verkehrszählungen und Befragungen vor Ort durchgeführt, um Daten zu Nutzungshäufigkeit, Nutzungszeitpunkt und zu Nutzereigenschaften zu gewinnen. Auf Basis dieser Daten und der bekannten Radfahrtypenstruktur (RadVerS) werden prototypische NutzerInnen (Personas) für die Problemsituation erstellt. Die grundlegenden Fragestellungen für diese Arbeitsschritte lauten: Wie kann die Situation beschrieben werden? Warum werden bestimmte RadfahrerInnen von der Nutzung abgehalten? Was sind die psychologischen Hintergründe? Welche Radfahrtypen müssen besonders angesprochen/ motiviert werden? Was sind deren Bedürfnisse und wie können diese spielerisch angesprochen werden?
Darauf aufbauend werden den Personas verschiedene Gamification-Mechaniken zugeordnet, die in einem technischen Prototyp umgesetzt werden. Dieser wird nach der Testung im Labor an der Stelle der Vor-Ort-Erhebung in die Infrastruktur implementiert. Zur Evaluation der Wirksamkeit der Gamification-Anwendung erfolgen erneut Verkehrszählungen und Befragungen der Nutzer vor Ort.
Der praktische Anwendungsfall wird für Kommunen als Anwendungskonzept für Gamification im Radverkehr aufbereitet und mit klaren Erfolgs- und Misserfolgskriterien verknüpft. Die Übertragbarkeit wird durch den Ansatz des User Experience Design gewährleistet, da je nach Anwendungsfall Maßnahmen zu spezifischen Personas abgeleitet werden können.
2. Projektdurchführung
Das Projekt wird aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) gefördert. Projektstart war September 2019. Die Bearbeitung erfolgt an der TU Dresden gemeinschaftlich durch die Professuren für Verkehrspsychologie und Technisches Design.
3. Projekterfolge
Im ersten Projektschritt wurden auf Grundlage der Literatur zu Determinanten der Radnutzung sowie zu Routenwahlfaktoren Anwendungsszenarien für infrastrukturbasierte Gamification identifiziert, u. a. Fahren bei ungünstiger Witterung (Wind, Niederschlag), das Überwinden von Anstiegen, das Umfahren oder Vermeiden bei häufigen Unterbrechungen (z. B. durch Rotlicht) oder das Fahren entgegen der Fahrtrichtung. Im Projekt konnten auf Grundlage einer Befragung von Radfahrenden keine Radfahrtypen-spezifischen Motivatoren identifiziert werden. Unklar ist jedoch, inwieweit die Ergebnisse der Befragung auf das tatsächliche Erleben von Spielelementen im Radverkehr übertragbar sind. Aus diesem Grund wurden die vier Radfahrtypen nach Anke et al. (2021) auch im Weiteren bei der Persona-Erstellung berücksichtigt. Im Rahmen der Evaluation vor Ort sollte dann u. a. überprüft werden, ob die Gamification-Maßnahme durch die verschiedenen Radfahrtypen auch unterschiedlich bewertet wird. Hierzu kann im Ergebnis des Projektes keine abschließende Aussage gemacht werden, da der Prototyp nur in kleinerem Rahmen als ursprünglich geplant evaluiert werden konnte.
Unabhängig von den Radfahrtypen bewerteten die Radfahrenden die Spielelemente: Level, Story, Challenge, Punkte und Teams am höchsten. Folglich wird das Potenzial dieser Spielelemente für den Einsatz einer infrastrukturbasierten Gamification-Maßnahme im Radverkehr als hoch eingeschätzt.
Im Projekt konnte eine Bandbreite von Lösungsansätzen für Gamification-Maßnahmen zur Motivation von Radfahrenden entwickelt werden. In einem iterativen Prozess von Variantenbildung und Bewertung/Auswahl anhand konkreter Randbedingungen des Verkehrsraums Dresden wurde eine beispielhafte prototypische Umsetzung und Erprobung ausgearbeitet. Der Lösungsansatz „Follow me“ ist eine Gamification-Maßnahme, welche Radfahrende mittels Lidaren erkennt und abhängig von der Position und Geschwindigket der Radfahrenden eine Lichtanimation an den Rändern des Radwegs erzeugt. Dadurch werden die Radfahrenden motiviert, dem Radweg regelkonform zu folgen, statt regelwidrig frühzeitig die Straßenseite zu wechseln und entgegen der Fahrtrichtung zu einem Kreuzungsbereich mit entsprechendem Gefahrenpotenzial zu fahren.
Der Prototyp konnte auf dem Gelände der TU Dresden in verkürzter Version installiert und evaluiert werden. Die Funktionsfähigkeit konnte dort in verkürzter Nutzungsphase erfolgreich nachgewiesen werden. Die Funktionsfähigkeit auf der langen, ursprünglich vorgesehenen Strecke im Stadtgebiet setzt die nahtlose Integration zweier Lidar-Systeme voraus, wofür das angekündigte Softwareupdate des Anbieters zum Zeitpunkt der Berichterstellung noch ausstand. Die Differenzierung im Tracking der Verkehrsteilnehmenden ist prinzipiell nachgewiesen worden, konnte aufgrund der begrenzten Auflösung auch moderner Lidare im konkreten Funktionsprototypen jedoch praktisch nicht umgesetzt werden. Auch hierfür liegt ein Lösungsansatz in der Integration mehrerer Lidare, was eine höhere Auflösung des Gesamtsystems – zu höheren Kosten – erlaubt.
Der entwickelte Prototyp, vor allem aber die Analyse- und Entwicklungsschritte bis zum fertigen Prototyp können als Blaupause für den Einsatz von Gamification im Radverkehr dienen. Hierfür wurden die Erkenntnisse in anschaulicher Form als Handreichung für Kommunen und Verkehrsplanende aufbereitet.
Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?
Im Ergebnis des Projekts werden Handlungsempfehlungen zum Einsatz von Gamification im Radverkehr als Handreichung für Kommunen mit Anwendungsleitfaden am Beispiel der implementierten Maßnahme für die Umsetzung in der eignen Kommune aufbereitet und verbreitet.
Ausgangspunkt sind bereits vorhandene Daten aus dem NRVP-Projekt „RadVerS“.
Das Projekt schließt zusätzlich mehrere Forschungslücken:
- es liefert eine Analyse (typenspezifischer) Motivatoren zur Überwindung unattraktiver Streckenabschnitte
- es liefert eine Systematisierung bzw. Aufarbeitung von Radfahrtypen in Personas zur zielgruppenspezifischen Entwicklung von Maßnahmen der Radverkehrsförderung
- es erforscht die Übertragung von Ansätzen und Methoden des User Experience Design zur Entwicklung von Gamification-Lösungen für öffentliche Bereiche auf Basis von Nutzerdaten
Für die Pilotstadt steht am Ende des Projekts ein fertig entwickelter, implementierter und evaluierter Prototyp für die weitere Verwendung zur Verfügung. Die Stadt kann so auch nach Projektabschluss auf dem Untersuchungsabschnitt oder einem Abschnitt mit ähnlicher Problemlage direkt eine Maßnahme zur Attraktivitätssteigerung und Förderung des Radverkehrs umsetzen.
Durch die Dokumentation der Entwicklung, Genehmigung und Implementierung eines Gamification-Prototyps erlangen relevante Akteure über die Handreichung auch eine „Anleitung“ zur konkreten Umsetzung, den notwendigen Schritten und möglichen Stolpersteinen bei der Umsetzung einer eigenen Maßnahme. So können aufzuwendende Zeit und Ressourcen von der Planung bis zur Umsetzung erheblich effektiver gestaltet werden, da nicht „von Null“ begonnen werden muss.
Inspire - Bilderstrecke
Finanzierung
Finanzierung
Bundesmittel
Gesamtvolumen
184.358 Euro
Das Projekt wird vom Bundesministerium für Digitales und Verkehr aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans (NRVP) 2020 gefördert.
Evaluation
Ja. Das Projekt besteht aus unterschiedlichen Arbeitspaketen, die alle auf eine erfolgreiche Gamification-Anwendung und deren Evaluation ausgerichtet sind. Bereits im Projektverlauf werden daher regelmäßig die Teilergebnisse überprüft. Zu diesem Zweck wurde zu Beginn des Projektes eine laufende Projektevaluation geplant und „SMART“-Zwischenziele definiert. Diese werden im Projektverlauf anhand von Meilensteinen geprüft, so dass bei Abweichungen gegebenenfalls Arbeitsprozesse angepasst werden können. Zusätzlich sind für jeden Meilenstein ein Abbruchkriterium und ein Abbruchzeitpunkt festgelegt.
Die Evaluation erfolgt darüber hinaus projektbegleitend innerhalb der Forschungsbeiratstreffen, zu denen aktuelle Projektergebnisse und nächste Schritte vorgestellt und diskutiert werden.
Projektträger & Beteiligte
Projektdurchführende Institutionen
Unternehmen, Universität, Verband, Verein, Private
Projektleitung
TU Dresden, Professur für Verkehrspsychologie
Projektbeteiligte
TU Dresden, Professur für Technisches Design
Laufzeit
Dauermaßnahme
Nein
Öffentlichkeitsarbeit & Dokumentation
Weitere Informationen
Handlungsempfehlungen „INSPIRe – Gamification im Radverkehr"
Ansprechpartner auf Projektebene
Prof. Tibor Petzoldt
TU Dresden, Professur für Verkehrspsychologie
Hettnerstr. 1
01069 Dresden
+49 351 463 36520
Ansprechpartner auf Projektebene
Juliane Anke
TU Dresden, Professur für Verkehrspsychologie
Hettnerstr. 1
01069 Dresden
+49 351 463 36703
Ansprechpartner auf Projektebene
Christian Wölfel
TU Dresden, Professur für Technisches Design
August-Bebel-Str. 20
01219 Dresden
+49 351 463 35798
christian.woelfel@tu-dresden.de
Ansprechpartner auf Projektebene
Felix Schmitt
TU Dresden, Professur für Technisches Design
August-Bebel-Str. 20
01219 Dresden
+49 351 463 43745
Erscheinungsdatum: 11.11.2019
Autor: Dipl.-Psych. Juliane Anke, TU Dresden, Professur für Verkehrspsychologie, Dr.-Ing. Christian Wölfel, TU Dresden, Professur für Technisches Design