SiRa – Sicherheit im Radverkehr
Subjektive und objektive Sicherheit steigern1.1.2020 - 1.12.2022
Bund bzw. bundesweit
25.3.2020
Die objektive Sicherheit von Radfahrenden wird seit Jahren kontinuierlich auch in den Medien diskutiert. Im Januar 2019 wurde beispielsweise eine Studie zu Unfallgefahren) – in diesem Fall zum Überholabstand – für Radfahrende von der Unfallforschung der Versicherer (UDV) veröffentlicht und von den Medien aufgenommen (Spiegel Online: 18.01.2019). Auch die Unfallstatistiken belegen, dass Radfahren im Vergleich zur Nutzung anderer Verkehrsmittel in Deutschland überdurchschnittlich gefährlich ist. So waren an 26 Prozent aller Verkehrsunfälle im Jahr 2016 Radfahrende beteiligt (destasis: 2017), obwohl nur 11 Prozent des Verkehrsaufkommens und lediglich 3 Prozent der Verkehrsleistung (infas et al.: 2018) auf das Rad entfallen. Dabei stellen rund Dreiviertel der Verkehrsunfälle von Radfahrenden Kollisionen mit Pkw dar, wobei in 75,4 Prozent der Fälle der Fahrer des Kfz der Hauptverursacher ist (destasis: 2017). Aber nicht nur die Autofahrer begehen Fehler, sondern auch die Radfahrenden. Erschwerend kommt hinzu, dass an Unfallhäufungsstellen oftmals eine mangelhafte Radinfrastruktur vorliegt. Die Aspekte der objektiven Sicherheit von Radfahrenden sind folglich weitestgehend bekannt.
Große Defizite zeigen sich aber gerade auch im subjektiven Sicherheitsempfinden der Radfahrenden in Deutschland: über 50 Prozent fühlen sich auf deutschen Straßen nicht sicher (SINUS: 2013). Im Gegensatz zur objektiven Sicherheitslage existiert zur Entstehung der subjektiven Sicherheitswahrnehmung von Radfahrenden wenig gesichertes Wissen. Generell ist für die Steigerung des Radverkehrs am Modal Split jedoch eine Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens von entscheidender Bedeutung (z.B. Manton et al.: 2016). Angst vor einer Verletzung im Speziellen (Aldred & Woodcock: 2015) und mangelnde Sicherheit im Allgemeinen (z.B. Beleuchtung des Radwegs, Verkehrsaufkommen) (Winters et al.: 2011 & 2012) gelten als die größten Hürden, um mit dem Radfahren zu beginnen. Gerade unerfahrene Radler sehen hier ein großes Gefahrenpotential (Bill et al.: 2015). Aldred & Goodman (2018) stellen fest: „More research is needed to understand the experiences of newer cyclists, and the extent to which near misses might contribute to discouraging new cyclists from continuing”. Fehlende Erkenntnisse insbesondere zur Gruppe derer, die nicht oder nur selten mit dem Fahrrad fahren, konstatiert auch Kropp (2018) als Ergebnis ihrer deutschlandweiten Befragung.
Bezogen auf die Verkehrssicherheit spielen im Allgemeinen drei Faktoren eine wichtige Rolle: neben (1) den individuellen Eigenschaften der Radfahrenden (z.B. (Nicht-)Radfahrertyp oder Alter) und ihrem Verhalten (2) die vorgefundene Radinfrastruktur (z.B. Art der Radinfrastruktur) sowie (3) die allgemeine Verkehrslage (z.B. Verkehrsaufkommen). Die technische Ausstattung der Fahrzeuge wird bewusst außen vorgelassen, da Innovationen in diesem Bereich zum einen vornehmlich durch die Industrie hervorgebracht werden und zum anderen eine Marktdurchdringung meist nur langsam erreicht wird. Zudem können diese beiden Prozesse nur bedingt und indirekt durch den NRVP beeinflusst werden (BMVBS: 2012).
Während sich die objektive Sicherheit im Unfallgeschehen widerspiegelt, kann die subjektive Sicherheit aus den verschiedensten Gründen auch abseits der Unfallbrennpunkte niedrig sein und beispielsweise dazu führen, dass das Fahrrad gar nicht oder die vorhandene Infrastruktur nicht wie vorgesehen genutzt wird, indem beispielsweise auf dem Gehweg ausgewichen wird. Das subjektive Sicherheitsempfinden der Radfahrenden wird dabei prinzipiell von denselben drei grundlegenden Faktoren – individuelle Eigenschaften der Radfahrenden, Infrastruktur und Verkehrslage – bestimmt. Das Sicherheitsempfinden wirkt sich auf das konkrete Verhalten des Radfahrers aus (z.B. unerlaubtes Fahren auf dem Gehweg), welches wiederum in Wechselwirkung mit dem Sicherheitsempfinden steht, so dass sich Sicherheitsempfinden und Verhalten gegenseitig beeinflussen.
SiRa verfolgt das Ziel, nicht nur die objektive Sicherheit zu erhöhen, sondern insbesondere auch das subjektive Sicherheitsempfinden, um (a) Unfallzahlen zu reduzieren und (b) den Anteil des Fahrrads am Modal Split zu steigern. Im Besonderen werden dabei bisher weniger beachtete Gruppen, vor allem Neu- und Wiederaufsteiger sowie aktivierbare Nicht-Radfahrer*innen (vgl. NRVP-Projekt RadAktiv), in den Fokus gerückt, da ohne eine Aktivierung bisheriger Nicht-Radfahrer*innen und Förderung von Neu- und Wiederaufsteigern eine Erhöhung des Fahrradanteils über ein gewisses Maß hinaus kaum möglich ist. Um dieses Ziel zu erreichen, muss sowohl die subjektive als auch objektive Sicherheit gerade dieser Gruppen erhöht werden, da die Angst z.B. vor einer Verletzung eine der größten Barrieren für die Nutzung des Fahrrads darstellt (Aldred & Woodcock: 2015). Um dieses Gesamtziel zu erreichen verfolgt SiRa vier Unterziele:
- Analyse des typspezifischen Sicherheitsempfindens unter unterschiedlichsten Infrastruktur- und Verkehrsbedingungen
- Erfassung typspezifischer konkreter Verhaltensweisen, welche die subjektive Sicherheit beeinflussen (z.B. Absteigen, unerlaubtes Fahren auf dem Gehweg, etc.)
- Untersuchung typspezifischer Diskrepanzen zwischen subjektiver und objektiver Sicherheit
- Maßnahmenentwicklung zur Steigerung der subjektiven und objektiven Sicherheit
Die Ergebnisse liefern zahlreiche Mehrwerte. So leistet SiRa einen grundlegenden Beitrag zum besseren Verständnis der subjektiven Sicherheit in unterschiedlichen Infrastruktursettings (Unterziel 1). Diese Erkenntnisse können sich beispielsweise sowohl in der Planungspraxis als auch bei der Gestaltung der ERA niederschlagen. Bund, Länder, Kommunen, aber auch NGOs können typgerechte Aufklärungsarbeit leisten, um unerwünschte Verhaltensweisen zur Steigerung des subjektiven Sicherheitsempfindens, welche möglicherweise im Widerspruch zur objektiven Sicherheit stehen, zu verringern (Unterziel 2). Zudem erlangen die Planungswissenschaften weitreichende Erkenntnisse zu Diskrepanzen zwischen subjektiver und objektiver Sicherheit, welche sowohl in Aufklärungsarbeit als auch die Planung von Infrastrukturen oder gar die ERA einfließen können (Unterziel 3). Darüber hinaus werden auf Basis der gewonnenen Erkenntnisse in einem transdisziplinären Prozess infrastrukturelle und verhaltensbezogene Maßnahmen zur Erhöhung der subjektiven und objektiven Sicherheit gemeinsam mit Planungswissenschaften und Planungspraxis entwickelt. Die ersten Maßnahmen werden anschließend von ausgewählten Radfahrenden diskutiert und evaluiert.
Da SiRa auch erfahrene Radfahrende in die Untersuchung mit einbezieht, ist ein Vergleich zwischen allen (Nicht-)Radfahrertypen hinsichtlich der drei genannten Untersuchungsschwerpunkte möglich. Dadurch lassen sich auch Gemeinsamkeiten dieser unterschiedlichen Zielgruppen herausarbeiten, die einen Beitrag zur Infrastrukturplanung für alle Nutzergruppen leisten.
Das Projekt nimmt 36 Monate Bearbeitungszeit in Anspruch und startete im Januar 2020. Es gliedert sich in insgesamt drei Module, zwei Sozialwissenschaftliche und ein Praxisorientiertes.
Modul 1 – Subjektive Sicherheitswahrnehmung unterschiedlicher Zielgruppen:
Im Fokus von Modul 1 steht die typspezifische Sicherheitswahrnehmung und das daraus resultierende Verhalten der Proband*innen sowie die Wechselwirkungen mit der vorgefundenen Infrastruktur und Verkehrslage.
Modul 2 – Quantitative Analyse des subjektiven Sicherheitsempfindens und dessen Diskrepanzen zur objektiven Sicherheit:
Auf Basis von Modul 1 wird ein Fragebogen für eine bevölkerungsrepräsentative Onlineumfrage in Deutschland entwickelt. Diese dient einerseits der Erfassung repräsentativer Daten zum subjektiven Sicherheitsempfinden und andererseits der tiefgehenden Analyse der Zusammenhänge zwischen Sicherheitsempfinden und unterschiedlichen Gruppierungsvariablen (soziodemografische Faktoren, (Nicht-)Radfahrertyp, etc.) sowie der Diskrepanzen zur objektiven Sicherheit. Dadurch ist es möglich, Konstellationen mit besonderem Handlungsbedarf herauszuarbeiten.
Modul 3 – Expertenworkshop und Gruppendiskussion:
Ziel des dritten Moduls ist es, erste Lösungsansätze für die in Modul 1 erfassten und in Modul 2 validierten Situationen mit niedrigem Sicherheitsempfinden zu finden. Hierzu werden sowohl Expert*innen als auch Vertreter*innen der relevanten Zielgruppen in Workshops beteiligt.
Die praxisrelevanten Erkenntnisse werden in einer Broschüre für Gemeinden, Planer*innen und weitere Akteure der Planungspraxis aufbereitet. Die Veröffentlichung liefert dabei Informationen zu typenspezifischen subjektiven Sicherheitswahrnehmungen bei unterschiedlichen (Nicht-)Radfahrenden-Typen und darauf aufbauend Empfehlungen für Maßnahmen zur Steigerung des Sicherheitsempfindens. Letztere werden in drei Bereiche unterteilt: Schulungs- und Infrastrukturmaßnahmen sowie Maßnahmen zur Beeinflussung der Verkehrslage (z.B. Geschwindigkeitsbegrenzungen). Die Broschüre wird primär über die Homepage des BMVI zum Download angeboten.
Warum handelt es sich um ein innovatives und nachahmenswertes Beispiel?
SiRa koppelt nicht nur die Bereiche der subjektiven und objektiven Sicherheit, sondern nimmt dabei vor allem die bisher wenig beachtete Gruppe der (Wieder-)Aufsteiger*innen in den Blick. Zudem wird ein innovativer Mixed-Methods-Ansatz angewendet, der besonders stark auf die Verzahnung qualitativer und quantitativer Methoden fokussiert.
Finanzierung
Finanzierung
Bundesmittel
Gesamtvolumen
318.044 Euro
Das Projekt wird gefördert durch das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (BMVI) aus Mitteln zur Umsetzung des Nationalen Radverkehrsplans 2020.
Evaluation
Ja. Das Projekt wird von zwei Evaluationen begleitet, einer Prozessevaluation und einer Wirkungsevaluation. Zudem wird ein Forschungsbeirat (insgesamt fünf Personen) aus Wissenschaftler*innen und Akteuren aus der Planung eingesetzt.
Projektträger & Beteiligte
Projektdurchführende Institutionen
Unternehmen, Universität, Verband, Verein, Private
Projektleitung
Department für Geographie, LMU
Laufzeit
Dauermaßnahme
Nein
Ansprechpartner auf Projektebene
Dr. Johannes Mahne-Bieder
Department für Geographie, LMU
Luisenstraße 37
80333 München
089 / 2180-4181
Erscheinungsdatum: 27.4.2020
Autor: Dr. Johannes Mahne-Bieder, Department für Gegraphie, LMU; Prof. Dr. Henrike Rau, Department für Gegraphie, LM; PD Dr. Monika Popp, Department für Gegraphie, LMU